RCA 82876 60749 2
2 CD/SACD surround • 75min • 2004
25.01.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Grundsätzlich habe ich etwas gegen die Veröffentlichung von Probenmitschnitten – jedenfalls dann, wenn sie noch zu Lebzeiten der jeweiligen Probierer die Öffentlichkeit erreichen. Zunächst einmal, weil sie dann eben keine Zufälligkeiten, sondern sehr wohl kalkulierte Veranstaltungen sind, bei deren Anhörung der Musikfreund in die Knie gehen soll (noch heute erinnere ich mich mit Grausen an eine Karajan-Probe des „Götterfunkens”). Außerdem kann einem der moderne Marketing-Köder des Making of ... so manch schöne Illusion rauben – zu Ben Hurs Zeiten ging es ja auch noch ohne.
Hier aber ist es nicht nur anders, hier ist, mit Verlaub, die Probe das eigentliche Ereignis. Natürlich weiß auch Nikolaus Harnoncourt, daß das Mikro offen ist. Da wird am Anfang noch ein wenig kokettiert und („für die Kamera”) ein Händedruck, vermutlich mit dem Konzertmeister, inszeniert. Hörenswert ist dann freilich die Arbeit selbst. Der auf den Fotos der BMG-Serie stets ein wenig leidend dreinschauende Harnoncourt wirkt freundlich-bestimmt, nicht wissenschaftlich verbohrt: Er doziert nicht über Darmbesaitung, er schwärmt davon, scheut sich auch nicht, etwas schlicht “schön zu finden”; nebenbei erfährt man einiges über die thematisch-programmatischen Bezüge des Werkes zu Mozarts Requiem (von denen man, ein Plus der Veröffentlichung, auch in B.G. Cohrs’ Begleitartikel etwas lesen kann); und zu verfolgen, wie der Dirigent komplexe Texturen aufbaut und beispielsweise verschiedene rhythmische Sphären übereinanderschiebt oder dynamische Relationen justiert; die Konzentration zu spüren, mit der das Orchester sofort jede Erwägung und Anweisung umsetzt – das ist tatsächlich den ganzen Eintritt wert: „Leute, laßt die Leute in die Proben,” möchte man all jenen ins Stammbuch schreiben, die auf der Suche nach „neuen” Konzepten der Musikvermittlung noch immer nicht auf das nächstliegende (und preiswerteste) gekommen sind!
Der Aufenthalt in dieser musikalischen Dombauhütte hätte ruhig länger dauern dürfen, denn das auf der CD Nr. 1 mitgeteilte Gesamtergebnis der gemeinsamen Bemühungen liefert letztlich nicht viel mehr als eine weitere fünfte Sinfonie von Anton Bruckner: Anständig für einen Live-Mitschnitt; phasenweise ausgesprochen fesselnd wie in der sehr bedachtsam organisierten Einleitung oder der zeitweilig geradezu apokalyptischen Durchführung des ersten Satzes, dann aber wieder – namentlich in den Pausen – befremdlich spannungsleer, als habe bei der „schneidigen” Nachbearbeitung die digitale Schere nicht nur Fehler aus dem Material hinaus-, sondern Fehlendes hineinpraktiziert. Kurzum, von einer Aufnahme, bei der die jüngsten Erkenntnisse der Bruckner-Forscher berücksichtigt sind und der authentischste aller authentischen Notentexte benutzt wurde, hätte sich unsereins mehr versprochen. Vielleicht zu Unrecht und zu leichtgläubig: Eine gotische Kathedrale verändert ihr Antlitz schließlich nicht, wenn man die Nasenwarze eines ihrer wasserspeienden Dämonen entfernt hat, die nicht dem Entwurf des Baumeisters entsprach. Es müssen da schon massivere Kräfte walten – wie im Falle der fünften Sinfonie von Anton Bruckner jener Franz Schalk, der dem Werk jahrzehntelang im Nacken saß. Dessen berüchtigte Verschlimmbesserungen sind aber ohnehin längst skurrile Geschichte...
Unterm Strich bleibt also eine Zusammenstellung wirklich instruktiver Probenausschnitte, zwei Begleittexte, die über das Warum und Woher des singulären Werkes und den Umfang der jüngsten Revisionen Auskunft geben – und eine ordentliche Konzertdarstellung, der man ohne Reue, aber auch ohne das große Aha! zuhören wird.
Rasmus van Rijn [25.01.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 |
Interpreten der Einspielung
- Wiener Philharmoniker (Orchester)
- Nikolaus Harnoncourt (Dirigent)