Tudor 7133
1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2003
11.02.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Alfred Beaujean bemerkt in seinem mit offenkundiger Begeisterung geschriebenen, wenn auch kleine Widersprüchlichkeiten enthaltenden Beiheft-Text völlig zu Recht, daß in der Erstfassung der dritten Sinfonie „Bruckners Intentionen direkter und ursprünglicher verwirklicht sind als in den späteren Überarbeitungen“. Auch Dirigenten erkennen dies zunehmend, und so ist dies erfreulicherweise schon die zweite Neuproduktion binnen Jahresfrist dieser von Leopold Nowak herausgegebenen Version 1873. Nach der insgesamt gescheiterten Interpretation durch Kent Nagano hat sich nun Jonathan Nott mit seinen Bamberger Symphonikern des Kolosses angenommen und auf Anhieb einen Treffer gelandet: Mit nur wenigen Einschränkungen (Finale!) würde ich dies die bislang wohl überzeugendste Interpretation des Werkes nennen.
Nott ist eher auf der schnellen Seite – mit 63’12 Gesamtspielzeit liegt er eine Viertelstunde unter George Tintner (Naxos 8.553454, 77’34). Seine Tempo-Auffassung orientiert sich eher an der von Roger Norrington, vermeidet aber insbesondere dessen extreme Tempo-Schwankungen im ersten Satz. Nott arbeitete die Architektur mit einem flüssigen, aber nie verhetzten Grundzeitmaß heraus, das durch seine Kontinuität die motivischen Verbindungen aufzeigt und thematische Strukturen hörbar macht. Insbesondere widerstand Nott der Versuchung, das Seitenthema beträchtlich langsamer zu nehmen. Auch der langsame Satz entfaltet sich angenehm flüssig, ohne Larmoyanz. Nur im Finale schien der Griff von Nott ein wenig nachzulassen; die Tempoverhältnisse werden nicht korrekt gewahrt – das Polka-Thema und insbesondere die Schlußperiode sind anfangs zu langsam. Dies zeigt sich spätestens in der Durchführung (Tr. 4, 8’33), als das dritte Thema weitaus rascher (und hier im richtigen Zeitmaß) wiederkehrt als in der Exposition (4’40), wo Nott das „Erste Zeitmaß“ der Partitur verfehlte (T. 209). Zudem haben die Streicher der Bamberger Symphoniker mit Bruckners Enharmonik und dem chromatischen Figurenwerk doch gelegentlich etwas Mühe. Die Vorzüge der antiphonalen Aufstellung der Violinen scheinen sich immer mehr herumzusprechen – wie zuvor Johannes Wildner (SonArte SP 20) und Tintner hat Jonathan Nott deren Wichtigkeit für die Aufführungspraxis auch bei Bruckner erkannt, und so kann man hier die spannenden Dialoge der Geigengruppen bestens vernehmen. Nicht optimal ist allerdings die Balance sowohl im Orchester selbst wie auch bezüglich der Tontechnik: Die Pauke deckt mit ihren Wirbeln im Tutti alles zu – so sehr, daß die übrigen Instrumente kaum noch zu orten sind. Außerdem sind besonders in stärker instrumentierten Passagen die Binnenstimmen (Alt- und Tenorinstrumente) nicht ausreichend differenziert hörbar. Auch auf meinem SACD-Player ist dies kaum anders. Insbesondere wirkt das Blech wie ein Panzer – ich vermute, daß Hörner, Posaunen und Trompeten (in dieser Reihenfolge von links nach rechts) weitgehend hinter den Holzbläsern sitzen, mithin eine Batterie von zehn Spielern, die aus der Mitte heraus frontale Breitseiten nach vorne feuert. Roger Norringtons übliche Positionierung, die Hörner links, Posaunen und Trompeten rechts aufzustellen und überdies die Spieler nicht direkt nach vorn, sondern leicht schräggestellt spielen zu lassen, ist für die Balance äußerst hilfreich, da es dann nicht mehr zu so massiven Klangballungen aus einer Richtung kommt (zumal Blechblasinstrumente heutzutage um ein Drittel lauter sind als zu Bruckners Zeiten!) und darüber hinaus auch Dialoge zwischen Hörnern und Posaunen/Trompeten entstehen können. Dies ist auch in Norringtons von der Balance her unübertroffener Einspielung der Sinfonie mit den London Classical Players (EMI) zu bemerken.
Zum Beiheft wäre noch dankend anzumerken, daß nicht mit Platz gegeizt und eine augenfreundlich große Schriftart gewählt wurde. Allerdings handelt es sich bei dem Faksimile auf S. 9 um den Anfang des Adagio nicht in der hier präsentierten Fassung, sondern die erste Seite der von Nowak als „Adagio 1876“ publizierten, nächstfolgenden Werkstufe. Ein Faksimile aus der Fassung 1873 (Adagio, 2. Partiturseite) findet sich im von Thomas Röder herausgegebenen Revisionsbericht zur Dritten auf S. 50 (Wien 1997, ISBN 3-900270-15-5). Abgesehen von den kleineren Fragwürdigkeiten jedoch insgesamt eine äußerst vielversprechende Produktion, mit der sich Jonathan Nott auch als vorzüglicher Bruckner-Dirigent erweist.
Dr. Benjamin G. Cohrs [11.02.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie No. 3 d minor WAB 103 (Symphony) |
Interpreten der Einspielung
- Bamberger Symphoniker - Bayerische Staatsphilharmonie (Orchester)
- Jonathan Nott (Dirigent)