Roger Norringtion
Schumann
SWRmusic 93.160
1 CD • 72min • 2004
17.11.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Roger Norrington ist ein kluger Kopf, historisch informiert und vielseitig belesen. Dass angesammeltes Wissen und peinlich genaue Beachtung von Praktiken, die für historisch gehalten werden, nicht zwangsläufig zu einer stimmigen, geschweige denn zu einer erfüllten Wiedergabe führt, macht die vorliegende CD deutlich.
Das fade, glanzlose Klangbild, aus dem mit schwer erträglicher Penetranz die mäßig interessanten Tonwiederholungen der Trompeten herausstechen, vermag kaum zu fesseln. Mit dem Verzicht auf Vibrato geht der Verzicht auf Ausdruck einher, die willkürliche Kürzung aller langen Notenwerte in den Streichern unterbindet jede Kantabilität und lässt die Textur brüchig und unzusammenhängend wirken. Der Kopfsatz der Rheinischen erhält so einen merkwürdig kurzatmigen, hopsenden Charakter, das Scherzo wird lieblos abgenudelt und im dritten Satz vermisst man die für Schumann unabdingbare Qualität des Gesanglichen. So schmetterfreudig das Blech agiert, so diffus und ohne Attacke ist der Ansatz der Holzbläser. Bei der Suche nach dem Effekt-Potential einzelner Details bleibt die Satzstruktur ebenso wie die Kontinuität des Ganzen auf der Strecke. Selten hat man Schumanns Musik derart als Abfolge von disparaten Momenten zu hören bekommen.
Norringtons Anspruch, als erster dem Zeitmaß die gebührende Beachtung zuteil werden zu lassen, ist – gelinde gesagt – kühn. Wenn er das Trio II der Frühlingssinfonie im genau gleichen Tempo wie das Scherzo nimmt (weil nichts anderes vorgeschrieben ist), wirkt dies nicht nur langweilig. Die Tatsache, dass Schumann bei der folgenden Reprise des Scherzos ausdrücklich „Tempo I“ verlangt, weist eindeutig darauf hin, dass das Trio in einem anderen Tempo zu spielen ist. Es gibt wahrlich genug gute Aufnahmen der Schumann-Sinfonien, darunter die von René Leibowitz oder Carl Schuricht, die zwar mit der Instrumentation durchaus frei umgingen, aber doch die Topographie der Werke wesentlich deutlicher und getreuer verwirklichten als Norrington. In jüngerer Zeit hat Daniel Barenboim eine rundum überzeigende Einspielung vorgelegt, die in der Dom-Szene (4. Satz) der Rheinischen für den problematischen Übergang zum 3/2 Takt eine aus dem Notentext zwar nicht zu belegende, aber absolut plausible Lösung bietet, auf die erstaunlicherweise noch niemand vorher gekommen war.
So etwas sucht man bei Norrington vergeblich, dabei ist es auch mit dessen "Texttreue" nicht weit her. Da wird um des bloßen Effektes willen crescendiert, wo es nicht in den Noten steht, und der Purist widersteht nicht der Versuchung, immer wieder im Tempo sentimental nachzugeben und Schlüsse bombastisch zu verbreitern. Der regelmäßig mit jähem fortissimo (das nicht in den Noten steht) hereinbrechende Schlussakkord ist nur das i-Tüpfelchen auf einer einzig an lokalen Effekten orientierten Musizierweise – weder ein Zeichen von übergreifendem Denken noch von gutem Geschmack.
Angesichts solcher Defizite erscheint es ziemlich unerheblich, ob nun das modernste Notenmaterial verwendet und die Streicher-Besetzung von Satz zu Satz verändert wird. Dirigenten wie Leibowitz oder Schuricht haben mit unzulänglicheren Ausgaben und unveränderter Besetzung wesentlich differenzierter musiziert und die Strukturen klarer herausgearbeitet als Norrington mit seinen „Errungenschaften“, mit denen er sich in den ebenfalls auf der CD enthaltenen englischen Konzerteinführungen brüstet.
Dass die von Hänssler Classic mit der Übersetzung beauftragte Firma Dr. Miguel Carazo & Associates Schumanns „Rheinische“ und Beethovens „Eroica“ ungestraft und von keinem Redakteur behelligt nach e-Moll (!) transponieren durfte, spricht für sich. Darüber hinaus vermittelt diese rundum entbehrliche Produktion keinerlei neue Erkenntnisse.
Sixtus König † † [17.11.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 (Frühlingssinfonie) | 00:32:14 |
5 | Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 (Rheinische) | 00:33:18 |
10 | Konzerteinführung durch Roger Norrington in englischer Sprache | 00:05:13 |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Sir Roger Norrington (Dirigent)