hänssler CLASSIC 98.491
1 CD • 60min • 2004
15.03.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nach der Lektüre des Einführungstextes ist es praktisch nicht mehr möglich, diese CD unter musikalischen Kriterien zu betrachten. Auf dreieinhalb Beiheftseiten spricht Jascha Nemtsov weniger von den Kompositionen als vielmehr von einigen Kapiteln des sowjetisch-stalinistischen Antisemitismus, die sich durch besondere Perfidie auszeichneten: „Ärztekomplott” hieß im Januar ‘53 eine Propaganda-Aktion des Regimes (wonach jüdische Ärzte die Ermordung führender Politiker geplant hätten), „Musikerkomplott” nannte man eine zweite, in deren Zusammenhang das Gerücht umging, es sei die Gründung eines jüdischen Staates auf der Krim und in diesem „die Schaffung eines jüdischen Konservatoriums” geplant gewesen: Die anschließenden Säuberungen – ohnehin eine Leidenschaft des Herrn Dschugaschwili – trafen unzählige Mitglieder eines Volkes, dessen Angehörige, wo immer sie einen Platz suchen, um ein ihrem Herrn wohlgefälliges Leben zu führen, den unverdienten Haß ihrer Umgebung zu spüren bekommen.
Erklärungen weiß auch Nemtsov nicht zu finden. Dafür präsentiert er mit seinen Kollegen Dmitry Sitkovetsky und David Geringas drei Proteststücke aus jüdischer und nicht-jüdischer Feder, die allesamt aus der Zeit vor den besagten „Komplotten” entstanden, nach Ansicht des Autors aber von jenen nicht eigentlich zu trennen sind. Alexander Wepriks Drei Volkstänze aus den zwanziger Jahren sind dabei eher rührend in ihrer Art, sich „russisch” zu geben, wohingegen das Trio des in seiner Musik sonst gern mal vorwurfsvollen Mieczyslaw Weinberg (Moshe Vainberg) ganz offen rast und tobt (das Attribut „nervtötend” fällt einem ein, verbietet sich aber im selben Augenblick auch schon wieder): Ausweglosigkeit, Wut, Unverständnis formulieren hier eine Anklageschrift, die ihm Dmitri Schostakowitsch ein Jahr früher (1944) gewissermaßen „vorgeschrieben” hatte, als er sich in seinem zweiten Klaviertrio ganz explizit jüdischer Themen annahm und dergestalt zumindest symbolisch das Los der Verfolgten teilte. So wird ihm in der vorliegenden Aufnahme der Ehrenplatz am Kopfende zugewiesen, weil er nach Nemtsovs Auffassung mit seinem Opus 67 ein „Zeitdokument” geschaffen hat. Das reduziert zwar die universelle Bedeutung des Werkes und des Mannes, der schließlich an seiner Mitleidensfähigkeit und den Ungerechtigkeiten dieser Welt zerbrach. Doch im Kontext dieses Programms wirkt diese Darstellung durchaus überzeugend. Jedenfalls sind die drei Musiker hörbar davon überzeugt; hörbar wollen sie auch uns davon überzeugen – und das wird ihnen sicherlich gelingen, wenn wir ihren geradezu hypnotischen Interpretationen längere Zeit zuhören sollten.
Rasmus van Rijn [15.03.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Mieczyslaw Weinberg | ||
1 | Klaviertrio op. 24 | |
Alexander Weprik | ||
2 | Drei Volkstänze op. 13b | |
Dimitri Schostakowitsch | ||
3 | Trio Nr. 2 e-Moll op. 67 für Violine, Violoncello und Klavier (In memoriam Iwan Sollertinski) |
Interpreten der Einspielung
- Dmitry Sitkovetsky (Violine)
- David Geringas (Violoncello)
- Jascha Nemtsov (Klavier)