Basta 8712530915526
5 CD • 4h 00min • 1996, 1997
06.09.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Charles Koechlin zählt wohl zu den interessantesten und ungewöhnlichsten Gestalten der französischen Musikgeschichte. Seine Interessensgebiete waren breit gestreut und galten neben der Musik auch der Wissenschaft, Mathematik, Fotographie, Architektur und vor allem auch der Astronomie.
1867 als Sohn einer elsässischen Industriellenfamilie geboren, studierte er nach dem Polytechnikum Musik bei Massenet und Fauré. Koechlin starb, hochbetagt, im Jahr 1950.
Sein in den zeitlichen Dimensionen monumentales Werk Les Chants de Nectaire für Flöte solo umfasst drei Opusnummern zu je 32 Stücken, 96 Stücke also insgesamt. Koechlin schrieb den Zyklus zwischen April und September 1944. Er zählt zu den umfangreichsten Werken, die je für Flöte solo komponiert wurden. Offensichtlich hegte Koechlin eine besondere Liebe für die Blasinstrumente im Allgemeinen und die Flöte im Besonderen: Allein 29 Kompositionen für Flöte hat er hinterlassen.
Die Inspirationsquelle zu den Chants de Nectaire fand Koechlin zum einen in der Bukolik Vergils, zum anderen ganz konkret im 1914 entstandenen Roman „La Révolte des Anges“ des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Anatole France. Darin verzaubert der alte Gärtner Nectaire (eigentlich der als Mönch durchs Mittelalter in die Neuzeit gelangte griechische Gott Pan) mit seinem Flötenspiel Mensch und Tier.
Der erste Teil des Zyklus, op. 198, nimmt in vielen Stücktiteln konkret Bezug auf den Roman. Der zweite Teil, op. 199, ist mit „Dans le Forêt antique“ überschrieben und die letzten 32 Stücke stehen unter dem Motto „Gebete, Tänze und Prozessionen für die vertrauten Götter“. Koechlin schafft in seinen Chants de Nectaire ein kleines musikalisches Universum - 96 bildhaft-programmatische Miniaturen von berückendem Charme: perlende Tonkaskaden, feurige Girlanden, tänzerisch-verspielte Szenen, aber auch statische, gleichsam um sich selbst kreisende Passagen von mysteriösem Zauber.
Die vorliegende Gesamteinspielung des Zyklus mit dem niederländischen Flötisten Leendert de Jonge zeichnet sich vor allem durch eines aus: sie lässt sich viel Zeit und Ruhe. Um die Stücke besonders gut zur Geltung kommen zu lassen, ist ganz bewusst zu Beginn jedes Tracks 10-15 Sekunden Stille zu hören. Wieviel an Ruhe sich de Jonge gönnt, ist allein daran zu ermessen, dass er ganze zwei CDs mehr (nämlich insgesamt fünf!) benötigt als die Konkurrenzeinspielung von Pierre-Yves Artaud.
De Jonges Spiel wird der Musik meist gerecht, besonders gelingen ihm aber die stillen, geheimnisvollen Stücke wie etwa Le bruissement des feuilles aus op. 199 oder Prière funéraire aus op. 200, wo er jede einzelne Note auskostend alle Nuancen in die Waagschale wirft. Nicht ganz nach meinem Geschmack geraten die virtuosen Teile. Allzu oft gibt es hier Anspracheprobleme bei Registerwechseln und auch de Jonges prinzipiell schöner Klang bleibt häufig etwas eindimensional, was auch seinem manchmal engräumigen, wenig flexiblen Vibrato geschuldet sein mag.
Die Tontechnik hat die Soloflöte leider recht direkt eingefangen. Stücken dieser Art hätte ein Hauch mehr an räumlichem Ambiente sicher nicht geschadet. Die Edition ist äußerst liebevoll aufgemacht, das Booklet ist auf starkem, edlem Papier gedruckt und Fotografien, die Koechlin selbst angefertigt hat, zieren die einzelnen CD-Hüllen. Man merkt, dass diese Produktion eine Herzensangelegenheit war! Es ist schwierig, sie mit der ebenso kürzlich erschienenen Gesamtaufnahme Artauds zu vergleichen – allzu verschieden sind die Herangehensweisen und musikalischen Schwerpunkte der beiden Interpreten. Wer mehr den meditativen Aspekt bevorzugt, sollte de Jonge wählen, wer die klanglich und flötentechnisch brillantere Aufnahme sucht, sollte Artaud den Vorzug geben. Allemal: eine Entdeckung!
Heinz Braun † [06.09.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Charles Koechlin | ||
1 | Les Chants de Nectaire für Flöte solo (1944) |
Interpreten der Einspielung
- Leendert De Jonge (Flöte)