harmonia mundi HMC801923.24
2 CD/SACD stereo/surround • 2h 15min • 2005
06.06.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Vielleicht wollte René Jacobs mit dieser Einspielung ein altes Vorurteil bekämpfen, nämlich jenes, daß Mozarts Titus – bei aller respektvollen Verbeugung vor dem Genius Mozart – ein rechter Opern-Langweiler ist. Wenn diese Absicht vorhanden war, dann ist dies vollauf gelungen, denn langweilig ist diese Wiedergabe von Mozarts Spätwerk in keinem Moment. Schon in der Ouvertüre geht Jacobs gleichsam mit Boxhandschuhen auf die Zuhörer los. Da kracht und rumort es, da wütet und braust es, wie man das noch kaum jemals erlebt hat. Das Heftige, Martialische wird offensichtlich in den Vordergrund gerückt, mitunter ein bißchen krass, aber stets überzeugend. Allerdings kommt ihm Mozart dabei nicht immer entgegen. Die Titelgestalt ist von allen Personen der Oper mit den blassesten Farben ausgestattet, das ist ein ewiges Problem dieser Oper. Alle anderen, selbst die kleinen Partien, besitzen weit mehr Kraft und Leben als dieser allzumilde Herrscher. In La clemenza di Tito stehen die egozentrische Vitellia, die wie aus dem Freudschen Lehrbuch der Hysterie herausgestiegen erscheint und der hingebungsvolle, tragische Held Sesto als die großen Träger von Handlung und Musik da.
Jacobs hat sich für seine Wiedergabe ein großartiges Ensemble ausgesucht. Alexandra Pendatchanska gibt der Vitellia all das Grelle, Furiose der Figur, sie löst alle Schwierigkeiten, die Mozart dieser ungeheuerlichen Partie zugemutet hat, sie singt mit packendem Ausdruck, zugleich auch mit perfekter Beherrschung aller hohen und tiefen Lagen. Bewundernswert. Und die Mezzosopranistin Bernarda Fink ist ein wahrer Schatz, aus ihrem Gesang tönt Wärme und Zärtlichkeit, Trauer und Liebebedürftigkeit, kurzum der ganze Reichtum des menschlichen Empfindens. Ihr Sesto ist die wahre Seele dieser Aufnahme. Hervorragende Leistungen kommen auch von Marie-Claude Chappuis als Annio, Sunhae Im als Servilia, auch der Bassist Sergio Foresti fällt in der kleinen Rolle des Publio durch markante Soli auf. Und der Titelheld? Mark Padmore singt ihn sehr sauber, sehr kultiviert, mit einer watteweichen Stimme, der gleichsam jede Muskulatur fehlt. In der neueren Aufführungsgeschichte hat es anscheinend nur einen gegeben, der aus dieser Rolle ein erschütterndes Erlebnis machen konnte: Julius Patzak bei den Salzburger Festspielen anno 1949, allerdings in einer problematischen Bearbeitung der Oper durch Bernhard Paumgartner.
Ohne Frage ist mit dieser Wiedergabe eine der interessantesten Mozart-Interpretationen der letzten Jahre gelungen. Nicht nur das, die Aufnahme stellt sich sogar an den vordersten Platz in der Reihe der bisherigen Titus-Einspielungen. Diese Auffassung mag nicht jedermann teilen, es gibt aber Argumente für ihre Geltung. René Jacobs als spiritus rector der Aufführung, als Dirigent des perfekt reagierenden Freiburger Barockorchesters hat mit diesem Mozart-Dokument ein imponierendes Zeugnis seiner gestaltenden Kraft geboten. Auch wenn Einwände Berechtigung besitzen mögen, gegen das allzu Ungestüme der Wiedergabe, auch gegen die überwuchernden Manierismen in der Begleitung der Secco-Rezitative – gelegentlich klingen ganze Klavierkonzerte auf – am hohen Rang der Aufnahme ändert das nichts.
Clemens Höslinger [06.06.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
1 | La Clemenza di Tito KV 621 |
Interpreten der Einspielung
- Mark Padmore (Tito Vespasiano - Tenor)
- Alexandrina Pendatchanska (Vitellia, Tochter des Kaiser Vitellius - Sopran)
- Bernarda Fink (Sesto - Mezzosopran)
- Marie-Claude Chappuis (Annio, Sestos Freund - Sopran)
- Sunhae Im (Servilia, Sestos Schwester - Sopran)
- Sergio Foresti (Publio - Baß)
- RIAS Kammerchor (Chor)
- Freiburger Barockorchester (Orchester)
- René Jacobs (Dirigent)