BIS 1605
1 CD/SACD stereo/surround • 66min • 2005
20.10.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Erlaubt ist, was sich ziemt“: Längst ist diese Maxime von der, auch grundgesetzlich verbrieften, Freiheit aller Meinungen und Künste abgelöst worden. Nicht außer Kraft gesetzt worden sind jedoch die begründeten Äußerungen von Rezensenten. Sie dürfen, sollen und müssen alles als fragwürdig bezeichnen, wenn es der Gegenstand verdient. Dies gilt für so manches Experiment aktualisierender und provozierender Opernregie oder auch für Bearbeitungen, Arrangements, Eingriffe und Veränderungen in bestehende Partituren ohne Rücksichtnahme auf deren Authentizität oder auf die vom Urheber allenfalls tolerierten Freizügigkeiten. Ein Exempel dafür liefert im vorliegenden Falle Antonio Vivaldis Jahreszeitenzyklus, original in der Form von vier Violinkonzerten. Hier nun geht es um die von einem Bläser mit unbefriedigender Wirkung verdrängte Geigenkunst.
Daß ein so kenntnisreicher wie profilierter Blockflöten-Fachmann und -Virtuose wie Dan Laurin mitten in einer eigenen musikwissenschaftlichen Forschungsarbeit zur Geschichte der Interpretation und zu künstlerischen Entscheidungsprozessen auf die Komposition einer Galionsfigur der europäischen Barockmusik mit allen Regeln seiner eigenen Blockflötenkunst „pfeift“, das verschlägt einem in mehrfacher Hinsicht den Atem. Laurin kann die originalen Geigenstimmen natürlich mit equilibristischer Sicherheit, perlender Geläufigkeit, intonationssicher und ästhetisch schön blasen. Ist es dann aber noch Vivaldis Werk? Das Ohr verweigert diese Annahme, weil es sich um mehr handelt als nur um das richtige Abspielen einer Notenvorlage. Die grundsätzliche Frage lautet: Dient der Interpret dem Komponisten oder hat der Komponist – wie hier – dem Instrument des Interpreten zu dienen?
Dan Laurin ist nicht der erste und einzige, der die Antwort darauf verweigert. Nur häufen sich bei vielen Meisterinterpreten zusehends die Anzeichen solcher Willkür im Umgang mit dem Original. Im vorliegenden Beihefttext zieht sich der Solist und Autor Laurin auf eine aus dem Zusammenhang herausgelöste Kritik an den antiken Vorvätern mit deren Warnungen vor der gefährlich orgiastischen Wirkung der griechischen Aulosbläser vor mehr als 2000 Jahren zurück. Thema verfehlt! Statt die zum Verständnis der Jahreszeiten-Konzerte dazugehörenden, alles Programmatische der Musik erklärenden Barocksonette abzudrucken, die sich eher den naturbedingten Freuden und Leiden im Wechsel des Kalenders widmen und damit das Verständnis der Musik fördern, hält sich Laurin mit dem Symbolcharakter des Zyklus von der Jugend (Frühling) bis zum Winter (Greisenalter und Tod) auf. Auch über den Geschmack der dazu ausgewählten Beiheft-Optik läßt sich streiten: ein schlummerndes Säuglingsköpfchen hinter einem graphisch aufgerasterten Wabengitter (für den Lebensfrühling) und ein ebenso graphisch vergitterter, mürrischer Rentner im Turnhemd (für den Winter)...
Das angestrebte Ziel des Programms allerdings wird ganz im Gegensatz zu solchem Unfug, pardon, zu solcher Umformung und Bedeutungsspielerei, schließlich und glücklich mit Vivaldis D-Dur-Concerto für Streicher RV 124 und mit den beiden Flötenkonzerten in G-Dur (RV 437) und dem Concerto Nr. 6 c-Moll (RV 441) aus Opus 10 mehr als ausgeglichen. Dazu gehört nun endlich ein ungeschmälertes Kompliment für die aufführungspraktische Kompetenz und Stringenz des polnischen Ensembles Arte dei Suonatori in Verbindung mit Dan Laurins Spitzenleistungen im virtuosen, kantabel edel getönten und geistreich phrasierten Blockflötenspiel. Für diesen Teil der CD ist vorbehaltlos die Bestbewertung angezeigt. Nicht zuletzt trägt dazu die traditionell optimale BIS-Aufnahmtechnik bei.
Dr. Gerhard Pätzig [20.10.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Le quattro stagioni op. 8 | |
2 | Concerto grosso D-Dur op. 12 Nr. 3 RV 124 für Streicher und basso continuo | |
3 | Concerto G-Dur op. 10 Nr. 6 RV 437 für Flöte, Streicher und basso continuo | |
4 | Flötenkonzert Nr. 11 c-Moll RV 441 für Blockflöte, Streicher und Basso continuo |
Interpreten der Einspielung
- Dan Laurin (Blockflöte)
- Arte dei Suonatori (Orchester)