Testament SBT2 1417
2 CD • 2h 01min • 1957
16.07.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Überraschung war groß, als sich Maria Callas, die „Tigerin“, berühmt für ihre Darstellung leidenschaftlicher und dämonischer Charaktere, im März 1955 an der Mailänder Scala als „femme fragile“ präsentierte. Unter der Leitung von Leonard Bernstein und in der Inszenierung von Luchino Visconti verkörperte sie eine Rolle, die bis dahin den „Nachtigallen“ vorbehalten war, also Sängerinnen wie Toti dal Monte, Lina Pagliughi oder Margherita Carosio: Amina, die Nachtwandlerin, in der gleichnamigen Oper von Vincenzo Bellini.
Nicht nur von der physischen Erscheinung, die damals bereits ziemlich grazil war, sondern auch vom Stimmcharakter schien sie dem Idealbild dieses schlichten Landmädchens nahezukommen, ohne dabei vergessen zu lassen, dass sie eine Diva war. Der Erfolg war so groß, dass die Produktion zwei Jahre später wieder aufgenommen und als Gastspiel zum Edinburgh Festival geschickt wurde. Zwischen diesen Aufführungen produzierte Walter Legge für EMI eine Studio-Gesamtaufnahme in der Originalbesetzung.
Bei dem jetzt veröffentlichten Tondokument handelt es sich um einen Live-Mitschnitt aus Edinburgh, der aus dem Privatbesitz von Legge stammt und von seiner Witwe, der inzwischen ebenfalls verstorbenen Elisabeth Schwarzkopf, dem Label Testament zur Verfügung gestellt wurde. Die Klangqualität ist weit besser als bei den früher kursierenden Piraten-Aufnahmen und somit handelt es sich um ein schönes Sammlerstück, auch wenn die Unterschiede zu der weithin bekannten Studio-Produktion nicht so gravierend sind.
Bernstein stand für die Wiederaufnahme nicht mehr zur Verfügung und der sehr erfahrene Scala-Maestro Antonino Votto übernahm. Er gehört nicht unbedingt zu den inspirierten Dirigenten, die eine Vorstellung gleichsam unter Strom setzen können, seine Behandlung des Orchesterparts ist für Bellini zu kompakt und zu schwerfällig, aber er war ein idealer Partner für Sänger, die er gleichsam wie auf Händen trug.
Das ist auch in dieser Aufführung zu spüren. Die Callas erreicht hier gerade in der Zurücknahme ihres Bühnentemperaments, in den mezzavoce- und piano-Bereichen, Augenblicke verinnerlichten, beinahe magischen Singens. Und sie hat die geeigneten Partner. Nicola Monti (Elvino) war damals nach Cesare Valletti (der Premierenbesetzung) der führende Vertreter des heute fast ausgestorbenen tenore-di-grazia-Faches. Sein lyrischer Schmelz, seine feine Linienführung korrespondieren aufs Beste mit der kunstvollen Fragilität seiner Partnerin. Nicola Zaccaria erweist sich in der Partie des vornehmen Schwerenöters Rodolfo als nobler basso cantante und in der Rolle der alten Müllerin Teresa läßt die damals erst 22jährige Fiorenza Cossotto aufhorchen.
Ekkehard Pluta [16.07.2008]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Vincenzo Bellini | ||
1 | La Sonnambula |
Interpreten der Einspielung
- Nicola Zaccaria (Graf Rodolfo, Lehnsherr des Dorfes - Baß)
- Fiorenza Cossotto (Amina, Teresas Pflegetochter, Elvinos Verlobte - Sopran)
- Maria Callas (Amina, Teresas Pflegetochter, Elvinos Verlobte - Sopran)
- Nicola Monti (Elvino, reicher Grundbesitzer - Tenor)
- Edith Martelli (Lisa, Wirtin, in Elvino verliebt - Sopran)
- Dino Mantovani (Alessio, Bauer, in Lisa verliebt - Baß)
- Franco Ricciardi (Notar - Tenor)
- Coro della Piccola Scala di Milano (Chor)
- Orchestra della Piccola Scala di Milano (Orchester)
- Antonio Votto (Dirigent)