BIS 1712
1 CD/SACD stereo/surround • 68min • 2008
11.02.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Auf einer persönlichen Zehnpunkteskala hat Sergej Rachmaninoff seit vielen Jahren eine fast unerschütterliche 9. Mit Ausnahme seiner Sinfonien und Sinfonischen Tänze, die mir die Gesamtnote immer ein bißchen herabziehen wollten – was wiederum, wie ich stets vermutete, etwas mit den jeweiligen Interpretationen zu tun haben mußte: Man spürt die musikalische Größe, ohne ihrer recht habhaft zu werden.
Seit ich mir jetzt die vorliegende Einspielung des rund einstündigen Opus 27 gleich mehrmals zu Gemüte geführt habe, weiß ich, daß das keine Einbildung war. Viel zu viele Dirigenten versuchen offensichtlich, dem aus tiefster Seele heraus komponierenden Rachmaninoff mit einer krampfhaften Intellektualität beizukommen, damit auch gar nicht der leiseste Eindruck von Holly- oder Bollywood entsteht, und sie legen auf diese Weise nicht nur sich selbst die Daumenschrauben an, sondern verhindern genau die musikalischen Blüten- und Blumengärten, die riesigen Gefühlsströme und unendlichen Weiten, die in den jeweiligen Begleittexten paradoxerweise zumeist als der eigentliche Lebensraum der russischen Seele apostrophiert werden.
Lan Shui tut nun mit seinem zu Hochform aufgelaufenen Singapore Symphony Orchestra etwas ganz merkwürdiges: Er läßt sich von der Musik selbst leiten, von ihren Bögen, Windungen, Impulsen, Melancholien und Triumphen; er öffnet mit kräftigen Drehungen die emotionalen Schleusen, deren Mechanismen andere nur mit spitzen Fingern antasten (weil’s nun mal in der Partitur steht!) – und dieser beinahe naiv zu nennende, auf den ersten Blick unmöglich tollkühne Sprung ins Bad der Leidenschaften befördert mitsamt seinem fabelhaften Klangkörper auf eine musikalische Höhe, von der aus wir tatsächlich das ganze Terrain dieses Werkes überschauen können. Das Wunderbarste daran ist nun, daß die gewissermaßen cinemaskopischen Effekte und Affekte, die man Rachmaninoff immer wieder so gern hingerieben hat, um sich der direkten Wirkung seines Œuvres zu entziehen – daß also die vermeintlichen „Filmmusik”-Passagen bei dieser Betrachtungsweise weder schnulzig-peinlich noch aufgesetzt klingen. Die organischen, immer auch von großem kompositionstechnischen Können getragenen Entwicklungen sind halt nicht in erster Linie die Architekturzeichnungen eines kühlen Kalkulators, sondern Eruptionen eines überschäumenden Temperaments, und so, wie Lan Shui sich auf dieses Temperament mit all seinen Risiken und Nebenwirkungen eingelassen hat, konnte er entweder nur untergehen oder aber glänzend siegen.
Während der Niederschrift dieses Kommentars lasse ich die CD vorsichtshalber noch einmal laufen. Schließlich will ich sicher sein, daß ich mich bei den ersten drei Malen nicht geirrt habe. Nein, definitiv nicht...!
Rasmus van Rijn [11.02.2009]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Sergej Rachmaninow | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27 | 01:01:23 |
5 | Vocalise E-Dur op. 34 Nr. 14 (Orchesterfassung 1912) | 00:05:53 |
Interpreten der Einspielung
- Singapore Symphony Orchestra (Orchester)
- Lan Shui (Dirigent)