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Besprechung CD

Johann Sebastian Bach Toccatas

Ramée RAM 0903

2 CD • 2h 33min • 2008, 2009

08.10.2009

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Auf dem Arnstädter Markt steht seit 1985 das zum 300. Geburtstag Johann Sebastian Bachs vom Hallenser Bildhauer Bernd Göbel geschaffene Denkmal des jungen Bachs: Der hat seinen Rock zu einem Sitzkissen zusammengefaltet und macht es sich auf einem Meilenstein bequem. Weit streckt er seine schlaksigen Beine von sich und schaut träumenden Blickes in die Ferne. Unter dieser Gestalt kann man sich gut den 18 Jahre jungen Bach vorstellen, wie er nach einem halben Jahr Dienst als Lakai und Geiger beim Weimaraner Herzog an der Neuen Kirche in Arnstadt seine erste selbständige Stelle als Organist antritt. Hier, in der kleinen, aber selbstbewussten thüringischen Stadt, sammelt er seine ersten Erfahrungen mit widerspenstigen Musikern (gegen den Gymnasiasten Geyersbach, der im kleinen Kirchenorchester mehr schlecht als recht Fagott bläst und von Bach zornig „Zippelfagottist“ gescholten wird, muss er sich vor der Kirchentür mit dem Degen wehren). Auch mit den Vorgesetzten gibt es Unfrieden, der künftige Leipziger Konflikte vorwegnimmt: Als Bach wegen seiner von vier bewilligten Wochen eigenmächtig auf vier Monate ausgeweiteten Reise nach Lübeck zu Dietrich Buxtehude zurückkehrt, antwortet er patzig auf die Frage der Obrigkeit, wieso das denn so lange habe dauern müssen: „Um ein oder anderes in meiner Kunst zu begreifen.“ Genauso gut hätte Bach den Herren vom Konsistorium auch sagen können: „Ja, wenn ihr keinen guten Organisten haben wollt!“ Das ist nämlich genau das Problem: Als er aus Lübeck zurück ist, kommt die Gemeinde bei seinen Choralbegleitungen aus dem Takt; „wunderliche Variationes“ werden ihm vorgeworfen; Bach ist den Arnstädter Kleinstadtmief nach drei Jahren leid und wechselt nach Mühlhausen an die Divi Blasii-Kirche. Auch dort hält es ihn nicht lange – schon nach einem Jahr kehrt Bach nach Weimar zurück, diesmal nicht mehr als Lakai, sondern als Hoforganist und „Cammermusicus“.

Bachs Toccaten sind vor der Leipziger Zeit entstanden, die Stücke für Cembalo entstammen den Jahren zwischen 1705 und 1710, die Orgeltoccaten wurden größtenteils in der Weimarer Zeit (1708-1723) komponiert. Besonders die Orgeltoccaten hat Bach als Virtuosenstücke geschätzt und oft auf Orgelprüfungen eingesetzt, um die Instrumente auf Herz und Nieren zu überprüfen. Bach war ein gefürchteter Orgelprüfer (ebenso gefürchtet waren übrigens sein Appetit und sein Durst hinterher).

Léon Berben hat Bachs Toccaten für Orgel und für Cembalo eine Doppel-CD gewidmet. Für die Orgeltoccaten hat er sich das klangmächtige Instrument der Laurenskerk in Alkmaar ausgesucht, das nach verschiedenen Umbauten jetzt wieder in die Klanggestalt zurückgeführt wurde, die Arp und Frans Caspar Schnitger ihr 1725 gaben (die ursprünglich mitteltönige Stimmung wurde indes nicht wieder restituiert). Berben badet förmlich in dem prachtvollen Klang der Orgel, über dieser Lust an der instrumentalen Farbe geht das Gefühl für die Rhetorik der Stücke etwas verloren. Das Resultat ist eine solide Interpretation, die durch eine herrliche Orgel erfreut, aber keine neuen Horizonte vermittelt.

Berbens Cembalo ist ein Nachbau von Keith Hill eines Instruments des Hamburger Cembalobauers Christian Zell aus dem Jahr 1728. Wieder ein herrliches Instrument, wieder eine ganz von Eleganz geprägte untadelige Leistung des Interpreten. Wer allerdings das ganze Ungestüm und das Genie des jungen Bach im Aufbruch hören möchte, der im Arnstädter Denkmal seine Augen auf ehrgeizige Ziele heftet, muss zu Andreas Staiers Einspielung aus dem Jahr 2006 greifen, die neben anderen Frühwerken Bachs auch die Toccaten BWV 912, 914 und 916 enthält. Hier beleben Rhetorik und Agogik die Interpretation, hier merkt man den Spagat des jungen Genies, der sich nicht scheut, den Schritt aus der deutlich hörbaren Verwurzelung in der großen Tradition des 17. Jahrhunderts in die Zukunft des eigenen Schaffens zu vollziehen. Darüber hinaus verfügt Staier noch über ein sensationell gutes Cembalo, auch nach Hamburger Tradition, das von einer überaus souveränen Tontechnik sehr präsent, aber nie offensiv dargeboten wird.

Vergleichsaufnahme: J. S. Bach: Frühwerke. Andreas Staier, Cembalo; harmonia mundi 901960.

Detmar Huchting [08.10.2009]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 00:08:59
2Präludium und Fuge D-Dur BWV 532 00:11:35
4Toccata und Fuge d-Moll BWV 538 00:12:13
5Toccata und Fuge F-Dur BWV 540 00:13:34
8Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 00:15:47
11Präludium und Fuge E-Dur BWV 566 00:11:19
CD/SACD 2
1Toccata g-Moll BWV 915 00:09:33
2Toccata c-Moll BWV 911 00:10:54
3Toccata d-Moll BWV 913 00:12:30
4Toccata D-Dur BWV 912 00:10:51
5Toccata fis-Moll BWV 910 00:11:35
6Toccata G-Dur BWV 916 00:08:06
10Toccata e-Moll BWV 914 00:07:44
11Toccata A-Dur BWV Anh. III 178 00:05:30

Interpreten der Einspielung

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