Edition Klavier-Festival Ruhr Händel, Mendelssohn & Neue Musik
CAvi-music 8553186
3 CD • 3h 22min • 2009
09.03.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit den Mitschnitten und zuweilen auch den als Studio-Produktion verfügbaren Dokumenten des Klavier-Festivals Ruhr hat der Klavier- und gelegentlich auch der Gesangsfreund im Allgemeinen erhebliche Freude: Neue Namen, viel versprechende Talente, gelegentlich auch Könner aus der Riege der Arrivierten, konventionelles, aber auch interessantes Repertoire bis in die Regionen des tatsächlich Zeitgenössischen – dies alles sind Markenzeichen einer Publikationsserie, die mittlerweile auf fast 25 Veröffentlichungen angewachsen ist. Die meisten der CDs werden der Fachzeitschrift „Fono Forum“ beigelegt. Wenn es sich aber um kapitalere Zusammenstellungen handelt, dann ist der Musik liebende Individualinvestor gefragt – wie hier im Fall einer Box, die dreiteilig und – was die Werke anbelangt – auf den ersten Blick hin durchaus attraktiv ausgelegt ist.
Angesprochen wird der Hörer auf den CDs 1 und 2 mit Werken von Mendelssohn Bartholdy und Händel. Mit CD 3 riskiert es der Veranstalter, „Neue Musik“ von Autoren der jüngeren Generation wie Vassos Nicolauo und Rudi Spring zu protegieren – und zum guten Schluss macht der Herausgeber mit einem Teil der hell- und tiefhörigen, im Besten Sinne eigensinnigen der Hölderlin-Lieder des 1927 geborenen Münchener Komponisten Wilhelm Killmayer vertraut.
Wer sich dieser mit ausführlichem Begleittext versehenen Kassette anvertraut, der darf sich solide bedient fühlen. Der Pianistin Ya-Fei Chuang aus Taiwan ist im g-Moll-Konzert von Mendelssohn die nötige Flüssigkeit des mobilen „Rauf-und-Runter“ zu bestätigen, auch ein gutes Maß an melodischer Feinfühligkeit, aber es handelt sich hier um mittlere Werte auf der ästhetischen Schiene des Brauchbaren, sofern man Einspielungen des Konzerts etwa mit András Schiff, Matthias Kirschnereit, Cyprien Katsaris oder Ragna Schirmer zum Vergleich heranzieht (wobei die muntere, ja fast schon rüde Einspielung mit Rudolf Serkin keineswegs in Vergessenheit geraten sollte!). Um Nuancen günstiger nachempfunden – nämlich prickelnder, spukhafter – erlebe ich die wohl niemals ernstlich angezweifelte Mendelssohn-Atmosphäre, wenn sich Robert Levin (Chuangs Ehemann) mit dem selten, allzu selten gespielten Capriccio brillante op. 22 pianistisch wie expressiv mehr als achtbar zu erkennen gibt. Überraschend geschmeidig zieht er seine Bahn und seine virtuosen Kringel mit durchaus diskographischem Erfolg, denn nicht allzu viele – und schon gar keine überragenden – Aufnahmen dieses für den Konzertalltag ungünstigen Stückes sind zur Gegenüberstellung zu nennen. Ungünstig für die Konzertroutine insofern, weil es als einzelner Programmpunkt zu kurz ist. Und ein zweites einsätziges Stück – etwa Webers Konzertstück in f-Moll op. 79 – mögen die Dirigenten nicht einstudieren, zumal es die üblichen Programmrituale aus dem Gleichgewicht bringen würde. So ist dieses und die anderen Konzertstücke von Mendelssohn fast in Vergessenheit geraten (Serenade und Allegro giocoso op. 43, Rondo brillant op. 29).
In lebhafter, gut koordinierter Partnerschaft bewährt sich das Duo Chuang-Levin in den ausschweifenden Tastenlandschaften des jugendlichen As-Dur-Doppelkonzerts, dessen drei Sätze immerhin gut 42 Minuten in Anspruch nehmen. Der Vortrag atmet zwar nicht die gleiche Selbstverständlichkeit des Ineinandergreifens von Hüben und Drüben, aber das ist wohl nur den „hauptamtlichen“ Duos im Umfeld lang erprobter Verbindungden bzw. geschwisterlicher Hingabe an parallele oder auch dialogische, jedenfalls traumwandlerische Klavierkongruenz gegeben …
Mit den Händel-Wiedergaben der beiden Cembalisten Pascal Dubreuil und Léon Berben vermag ich mich nur bedingt anfreunden – das heißt: unter dem Eindruck der phänomenalen Klavier-Gesamtaufnahme von Ragna Schrimer (Berlin classics) fällt es mir schwer, dem Klang der – auch noch so verantwortungsvoll „nachgebauten“ – Alt-Instrumente mehr als nur Respekt zu zollen. Das sollte aber Freunde historischer Klangalchemie nicht davon abhalten, sich diesen manuell geschickten Darbietungen zuzuwenden. Sie geben die eine oder andere Auskunft über das musikalische Schalten und Walten Händels im Nebenrepertoire des 18. Jahrhunderts, sofern man sich darüber im Klaren bleibt, dass sein künstlerisches Interesse und seine gewaltige Reputation vor allem im Bereich orchestraler Werke mit vokalen Solisten und Ensembles lagen – sei es im geistlichen, sei es im weltlichen Bereich.
Die CD 3 steht unter dem Motto „Neue Musik“ – wie man weiß, ein dehnbarer Begriff. Zum Glück ist es in den letzten gut zwei Jahrzehnten wichtig geworden, als Komponist nicht ästhetisch-mafiösen Verordnungen zu folgen, nach welchen Gesichtspunkten „neue“, aktuelle, avantgardistische Musik gefälligst (oder ungefälligst!) verfassen sei. Es gilt – wie einst zu Zeiten der großen Autoren – den Hörer zu erreichen, seine Seele, sein Empfinden, so wie es zur Zeit immer wieder im Umfeld der Chopin-Geburtstagsfeierlichkeiten betont wird. Ob das dem Cyprioten Vassos Nicolaou (Jg. 1971) mit seinen Etüden und einer auf Märchenästhetik abzielenden „Es war einmal…“-Invention gelingen wird, wage ich zu bezweifeln. Tamara Stefanovich – auch bekannt als Duo-Partnerin von Pierre-Laurent Aimard – bemüht sich spürbar um die nur selten prägnanten Stücke, von denen ihr die fünf Etüden zur Uraufführung im Rahmens des Klavier-Festivals Ruhr 2009 anvertraut worden sind. Prägnanter, wenn man will: des Erinnerns werter empfinde ich die sieben dem deutschen Volkslied verpflichteten „Neumondgedichte“ des aus Lindau am Bodensee stammenden Rudi Spring (Jg. 1972), zumal sie vom Komponisten am Klavier und von der Sängerin Salome Kammer für den ersten Eindruck plausibel vorgetragen wirken (auch dies eine Ruhr-Uraufführung!).
Die dritte Hölderlin-Liederserie von Wilhelm Killmayer schickt der ausführende „Begleiter“ Siegfried Mauser in knappen Worten auf die CD-Reise: „Die Lieder des dritten Zyklus nach Gedichten von Hölderlin von Wilhelm Killmayer heben auf sehr spezielle Art scheinbar einfache Liedstrukturen in eine Ebene abstrakter Vergeistigung." Abgesehen davon, dass es besser „auf eine Ebene“ – weil „heben! – heißen sollte, kann ich dem in jeder Hinsicht umtriebigen Mauser beipflichten, zumal der Tenor Markus Schäfer dieses zwischen „Winter“, „Frühling“ und „Zeitgeist“ erglühende, bald reflektierend bald verwirrend, gleichsam fordernd anspringende Liedgewebe mit der Autorität des vokalen Könners und der Deutlichkeit des singenden Vorlesers nahe zu bringen versteht.
Vergleichsaufnahmen: Mendelssohn Bartholdy op. 25: R. Serkin (CBS), Ragna Schirmer – Herbig (Berlin classics 0017752 BC), Leonskaja – Volkov (MDG 943 1421-6), Kirschnereit – Beermann (Arte Nova / Sony Music 88697 38622 2), Katsaris – Masur (Teldec 8573-80991-2), Mamikonian – Stahl (Orfeo C 497001 A), Hobson (AR Z 6688), Kara – Myrat (La Camerata Agorà 126.1), Thibaudet – Blomstedt (Decca 468600-2), Dorfmann – Goehr (Pearl GEM 0010), Moiseiwitsch Ronald (Piano Library 246), Petukhov – Sinaisky (Pro Domino CD 190295103), A. Schiff (Decca); op. 22: Margalit – Thomson (Chandos 7070), Wirtz – Smola (Koch 3-1372-2), Huang – Masur (Teldec 0630-15859-2); Konzert für zwei Klaviere und Orchester As-Dur: Duo Mrongovius – Wit (Arts 47621-2).
Peter Cossé † [09.03.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25 | 00:19:51 |
4 | Capriccio brillant h-Moll op. 22 | 00:10:40 |
5 | Konzert As-Dur für 2 Klaviere und Orchester | 00:42:14 |
CD/SACD 2 | ||
Georg Friedrich Händel | ||
1 | Suite No. 7 g minor HWV 432 (from: Suite HWV 0426) | 00:22:51 |
7 | Suite d-Moll (Pasticcio-Suite, arr. Pascal Dubreuil) | 00:20:58 |
14 | Suite No. 3 d minor HWV 428 (from: Suite HWV 0426) | 00:24:54 |
CD/SACD 3 | ||
Vasso Nicolaou | ||
1 | Es war einmal... | 00:12:13 |
Rudi Spring | ||
11 | Neumondgesichte (Eine Folge deutscher Volkslieder) | 00:08:34 |
Vasso Nicolaou | ||
18 | Fünf Etüden | 00:15:32 |
Wilhelm Killmayer | ||
23 | Hölderlin Lieder (III. Zyklus) | 00:25:24 |
Interpreten der Einspielung
- Ya-Fei Chuang (Klavier)
- Robert Levin (Klavier)
- Bochumer Symphoniker (Orchester)
- Steven Sloane (Dirigent)
- Pascal Dubreuil (Cembalo)
- Léon Berben (Cembalo)
- Tamara Stefanovich (Klavier)
- Salome Kammer (Sopran)
- Rudi Spring (Klavier)
- Markus Schäfer (Tenor)
- Siegfried Mauser (Klavier)