Kaleidos KAL 6311-2
2 CD • 72min • 2009
02.06.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ein musikalisches, ein musikologisches Experiment von hoher Erlebens- und Informationsdichte! Und ich erlaube mir hinzuzufügen: hier handelt es sich nicht um eine rohe, universitäre Erkundung und Belehrung, sondern um ein pianistisch klug und temperamentvoll erlebtes Abenteuer auf den Spuren zweier Komponisten, die auf wundersame Weise Verwandtschaft, Nähe, aber auch Distanz bezeugen. Zu danken sind die Aufnahmen der je 24 Préludes von Chopin und Scriabin einer jungen (?) belgischen Pianistin: Michèle Yuki Gurdal. Es handelt sich um die Tochter „eines belgischen Piloten und Musikliebhabers und einer japanischen Künstlerin", deren Interesse und Begabung für das Klavier sehr früh entdeckt wurde – mit dem erfreulichen Resultat, die kleine Gurdal in Brüüssel schon im Alter von neun Jahren mit dem D-Dur-Konzert von Haydn hören zu können. Wann das geschah, lässt sich dem ansonsten informativen Begleitheft (Ulrich Kahmann, Markus Giljohann) leider nicht entnehmen, aber eine gewisse Diskretion, was Altersangaben bei Damen anbelangt, sollte man hinnehmen.
Michèle Yuki Gurdal spielt auf CD 1 die genannten Préludes von Chopin und Scriabin in der originalen Reihenfolge. Mit liebevoller Umsicht in den verschiedensten Ton- und Gefühlslagen entfaltet sie das Kleine wie das Größere mit ausgeprägtem Gespür für das jeweils Vorliegende, aber sie versteht es auch, die Stücke – wenn nötig, wenn vertretbar – zu binden, sie gewissermaßen als logische Konsequenz innerhalb einer Sammlung zu platzieren. Es handelt sich ja bei beiden Werkreihen nur bedingt um Zyklen. Die vielen Auswahl- und Einzelstück-Interpretationen (etwa Chopins op. 28,15!) mögen als Beleg dienen, dass der Interpret nicht unbedingt ein Ganzes bieten muss. Chopin und Scriabin haben das nie gefordert und – soweit ich die Literatur überblicke – auch in ihren künstlerischen Aktivitäten nicht praktiziert.
Gurdal und ihr CD-Produzent haben sich jedoch nicht nur damit begnügt, die beiden Préludes-Serien zu publizieren. Auf CD 2 werden die Stücke von Chopin und Skrjabin Nummer für Nummer einander gegenübergestellt. Und es zeigt sich auf faszinierende Weise, wie ähnlich in Bewegung und Atmosphäre diese Miniaturen sind, wie stark sich Skrjabin von Chopin inspiriert gefühlt haben dürfte (bewusst oder unbewusst, das mag dahin gestellt sein). Auf einer subjektiv angelegten Liste der Parallelitäten wage ich folgende Préludes als Kompositionen mit hoher Nachbarschaftsquote zu nennen: Nr. 1-4, 11, 13, 14, 17, 20, 21 und 23. Etwas sanftere, mehr imaginäre Berührungspunkte habe ich im Umfeld der Préludes Nr. 8, 9, 15, 16, 18 und 24 notiert, aber jeder Hörer – und ich wünsche dieser Edition ein großes Publikum! – wird sich in Bezug auf stilistische, klaviertechnische und atmosphärische Überschneidungen ein eigenes Bild machen.
So ist dieses auch in den schwierigsten Partien (etwa op. 28,16!) souverän präsentierte Préludes-Doppel einerseits als lebendige, pianistisch aufregende Leistung zu würdigen, andererseits als Stimulans, sich eingehend mit zwei Werkgruppen weit über den Genuss des normalen Hörens hinaus auseinander zu setzen.
Vergleichsaufnahmen: Skrjabin: Shukow (Melodia / Eurodisc LP 301194-420), Ponti (Vox LP SVBX 5462), Stanev (Sony 82876 76510 2), Mody (Thorofon CTH 2570/2), Pizarro (Collins 14962), Kuschnerova (Ars musici 1259-2), Gourari (Koch 3-1431-2), Diev (Arte Nova 65422 2), Lane (Hyperion CDA 67057/8), Zarafiants (Naxos 8.553997), Gieseking (Music & Arts 1098(4), von Eckardstein (MDG 604 1318-2); Auswahl: Prats (Nr. 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23 /Miami International Piano Festival 27.2.2007 /VAI DVD 4414), Sofronitsky (Nr. 2,4,6 und 19 /Skrjabin Museum Moskau 1960 /Arbiter 157), Afanassiev (Nr. 2,4 und 10 /Denon CO-18044), L.Martin (Nr. 1,2 und 11 /Lidi 0103034-95), Kastelsky (Nr. 1,2,4-6,8,9 und 13-16 / TR RCD 16336), Scherbakov (Nr. 6,10,15 und 17 /Naxos 8.550818), Rozum (Nr. 5,8,14,17 und 20 /(Mediaphon-Madacy 72.184), Gawrilow (Nr. 2, 4-6, 9-14, 16, 18, 20, 22 und 24 /EMI LP 1 C 067 2700901).
Peter Cossé † [02.06.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | 24 Préludes op. 28 | 00:40:32 |
Alexander Scriabin | ||
25 | 24 Préludes op. 11 | 00:31:23 |
Interpreten der Einspielung
- Michèle Gurdal (Klavier)