Ferry Tales

BIS 1875
1 CD • 64min • 2005, 2009
08.11.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Tuba ist bis heute eines der am stärksten unterschätzten Instrumente, zumindest außerhalb der Expertenkreise. Das liegt auch an ihrer Geschichte. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in den Werken Wagners, Bruckners, Mahlers und vor allem Richard Strauss’ adäquate Orchesterstellen für dieses mächtige Instrument geschrieben; und es waren moderne Klassiker wie Vaughan Williams und Hindemith, die damit begannen, dringend benötigte Sololiteratur auf höchstem Niveau für den Blechkoloss zu schreiben. Was die Tuba wirklich zu leisten vermag, wenn der Spieler erstklassig ist, zeigte weniger die schüchtern entstehende Konzertliteratur (außer dem Konzert von Vaughan Williams etwa neuere britische Werke von Gregson, Steptoe und Golland aus den 19970er und 80er Jahren) als vielmehr die Blechbläser-Bewegung, die von Ensembles wie dem von Philip Jones, Canadian Brass oder German Brass ausging und sich heute zu einer sehr reichhaltigen Szene ausgewachsen hat.
Die Kunststücke, die der norwegische Tubist Oystein Baadsvik auf diesem durchaus sympathischen Album Ferry Tales vollbringt (der Titel ist ein Wortspiel über den englischen Begriff „Fairy Tales“ für Märchen, das die Schiffsfähre, wohl als Crossover-Chiffre, in die Formulierung mit hineinbringt), sind also für den Kenner des Instrumentes keineswegs eine Überraschung. Baadsvik kann in einem weichen, strömenden Bass-Belcanto aussingen wie ein blecherner Kurt Moll, verfügt über eine lockere Beweglichkeit, die etwa dem Horn nicht nachsteht und führt einige interessante Effekte vor wie etwa das luftige Spiel mit einer Münze im Mundstück (Vise. A Simple Melody) oder mehrstimmiges Spiel durch gleichzeitiges Singen und Spielen, wie es Hornvirtuosen des 19. Jahrhunderts erfunden haben und wie es durch die posaunistische Jazz-Legende Albert Mangelsdorff maßgeblich weiterentwickelt wurde (im wohl unvermeidbaren Tango). Verglichen etwa mit der Tubakunst Walter Hilgers, der sein Instrument balancieren kann wie Wattebäuschchen, fällt auf, dass Baadsvik aggressiver, erdiger, saftiger intoniert und manche Phrase sehr druckvoll artikuliert. Hört man genau hin, stellt man fest, dass vereinzelt Pedaltöne nicht ganz sauber angesetzt werden (Prinz Igor-Fantasie) oder dass das Vibrato manchmal etwas stark gerät.
Doch das sind solistische Eigenarten, die gleichzeitig auch mithelfen, das Spiel sehr markig und expressiv zu gestalten. Wenn die Platte dennoch einen durchwachsenen Eindruck hinterlässt, liegt das am vorgestellten Repertoire. Die 14 recht kurzen Stücke sind allesamt von Baadsvik und seinem pianistischen Partner Erlend Skomsvoll selbst verfasst worden; sie gehen teilweise auf Improvisationen zurück und wurden in Konzerten vielfach erprobt, wo sie zweifellos reüssieren konnten; doch kompositorisch kommt ihnen kein eigenes Gewicht zu. Im besten Fall prägen sie ein jazz-rockiges oder filmmusikalisches Idiom aus, im schlechteren Fall schrammen sie hart an Lounge- und Fahrstuhl-Musik vorbei wie etwa die bereits genannte Nummer Vise von Skomsvoll: schick, aber zu dünn für ein wirklich konzentriertes Zuhören. Und Quintparallelen, auch, wenn sie bewusst sorglos gesetzt sind und zum heutigen Pop-Jargon gehören, klingen dessen ungeachtet immer noch schlecht. Ins Bild passt da, dass auch die ansonsten renommierten Trondheim Soloists unter ihren klanglichen Möglichkeiten spielen. Am positivsten ragt Baadsviks und Skomsvolls Version von Harold Arlens Song-Klassiker Somewhere over the Rainbow heraus, das einerseits die Tuba als hinreißende Sängerin zeigt, zum anderen mit einer ungewohnt hektisch galoppierenden Begleitung auch wirklich originell gesetzt ist.
Prof. Michael B. Weiß [08.11.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Øystein Baadsvik | ||
1 | It'll be all right | 00:04:38 |
Erlend Skomsvoll | ||
2 | Prince Igor - Fantasy on a Theme (nach A. Borodin) | 00:03:33 |
Øystein Baadsvik | ||
3 | Dancing on a Blue Ribbon | 00:05:00 |
Erlend Skomsvoll | ||
4 | Vise (A simple melody) | 00:03:10 |
5 | Somewhere over the rainbow | 00:06:32 |
Øystein Baadsvik | ||
6 | Tango | 00:04:30 |
Erlend Skomsvoll | ||
7 | Salme g-Moll | 00:05:03 |
Bjarne Amdahl | ||
8 | Grindstone Waltz | 00:04:47 |
Erlend Skomsvoll | ||
9 | Without Words | 00:04:49 |
Ketil Bjørnstad | ||
10 | Summer Night by the Fjord | 00:05:22 |
Knud Vad Thomsen | ||
11 | Picking Velvet Grass | 00:04:04 |
Erlend Skomsvoll | ||
12 | The Song | 00:03:42 |
Øystein Baadsvik | ||
13 | It'll Be All Right II | 00:04:05 |
14 | Déjà vu | 00:03:17 |
Interpreten der Einspielung
- Øystein Baadsvik (Tuba)
- Trondheim Soloists (Orchester)
- Erlend Skomsvoll (Klavier)