Ingolf Wunder
Chopin Recital
DG 477 9634
1 CD • 68min • 2011
01.08.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Fast hätte es beim letztjährigen Chopin-Wettbewerb in Warschau einen Skandal gegeben – vergleichbar jenem vor genau dreißig Jahren, als Ivo Pogorelich der Sieg verweigert wurde. Nach Meinung der meisten Experten wie des Publikums wäre der Erste Preis dem 25jährigen Ingolf Wunder zuzusprechen gewesen. Der Österreicher erhielt aber nur den Zweiten Preis, an die Spitze wurde mit einem offensichtlichen Fehlentscheid der Jury Julianna Awdejewa gesetzt. Alles freilich nur halb so schlimm! Denn Ingolf Wunder durfte mit dem genau gleichen Chopin-Programm, das er für den Warschauer Concours einstudiert hatte, seine Debüt-Platte bei der Deutschen Grammophon bestreiten.
Ingolf Wunder hat sich gewissenhaft vorbereitet, nicht zuletzt bei Adam Harasiewicz, der 1955 den Warschauer Wettbewerb gewonnen hatte. Diese Lehrphase mag ihm einiges geholfen habe; doch im Grunde scheint er reif – und eigenständig – genug, um zu einer persönlichen Sicht auf Chopins Werke zu gelangen. Was gleich auffällt, ist der singende Ton, der zwar nie vordergründig demonstriert wird, aber unverkennbar den tieferen Kern von Wunders Interpretation ausmacht. Er vermag diese Legato-Gestaltung sogar in jenen Passagen zu wahren, wo vorab die virtuose Allüre gefragt ist – technisch läßt er sowieso keine Probleme erkennen. Wichtiger bleibt ihm indes der Blick aufs Ganze: souverän etwa, wie er im Opus 22 die Poesie des Andante spianato-Teils in die Bravourgestik der anschliessenden Grande Polonaise brillante überführt. Auch ausladendere Gebilde, konkret die 3. Sonate h-Moll op. 58, können von dieser quasi-architektonischen Klanggestaltung profitieren.
Besonders zu lieben scheint Wunder jene As-Dur-Polonaise-Fantaisie op. 61, die in Warschau das obligate Pflichtstück war. Genau solcher Etikette will er entgehen, der puren Pflicht nämlich. Er schätzt die Spontaneität, die ihm nicht zuletzt einen freizügigen Umgang mit dem Rubato gestattet. Die meist diskreten Tempo-Verschiebungen wirken bei ihm nie knallhart kalkuliert, sondern wie aus dem Moment geboren. Das verbindet Ingolf Wunder mit Arthur Rubinstein, den er unter den legendären Chopin-Pianisten als sein Vorbild bezeichnet. Natürlich vermag er noch kaum über jene souveräne Gelassenheit des reifen Rubinstein zu gebieten, dafür besitzt er zumindest etwas ebenso Wichtiges: eine eminente und ansteckende Spielfreude.
Mario Gerteis † [01.08.2011]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58 | 00:27:26 |
5 | Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61 – Allegro maestoso | 00:13:42 |
6 | Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 Nr. 4 | 00:11:44 |
7 | Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur op. 22 | 00:15:15 |
Interpreten der Einspielung
- Ingolf Wunder (Klavier)