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Besprechung CD

Bach vs. Scheibe

Marie-Sophie Pollak • Concerto Köln • Max Volbers

Berlin Classics 0304099BC

1 CD • 69min • 2024

25.10.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Marie-Sophie Pollak und das Concerto Köln unter Max Volbers geben in ihrem Album Bach vs. Scheibe eine klingende Erläuterung zu einer der wichtigsten musikästhetischen Kontroversen des deutschen Spätbarock, die spätere Diskussionen um U- und E-Musik bereits vorwegnimmt. Auslöser war, dass Johann Adolph Scheibe Johann Sebastian Bach 1737 in seiner in Hamburg erschienenen Zeitschrift „Der Critische Musikus“ für seinen überkomplexen Stil kritisiert hatte. Es ist nicht undenkbar, dass er damit die Einschätzung seiner hanseatischen Kollegen Telemann und Mattheson widerspiegelt.

Verhinderter Jurist, erfolgreicher Komponist

Der Sohn des Leipziger Orgelbauers und spätere dänische Hofkompositeur

Johann Adolf Scheibe (1708-1778) war der Sohn des Leipziger Orgelbauers Johann Scheibe und hatte nach Absolvierung der Lateinschule eigentlich vor, Jurist zu werden, was am elterlichen Geldmangel scheiterte. Da er schon als Kind Freude am Spiel von Tasteninstrumenten hatte, entschied er sich ab 1725 diese Fähigkeiten zu vervollkommnen. Eine Bewerbung um das Organistenamt an St. Thomas blieb jedoch erfolglos, da Bach einem anderen Kandidaten (J. V. Görner?) den Vorzug gab. Scheibe reist daraufhin auf der Suche nach einer festen Anstellung durch Deutschland, landete in Hamburg, wo er Telemann als Musiklehrer am Johanneum während dessen Paris-Reise vertrat, wurde als noch Unbekannter in Matthesons Sammlung von Komponistenbiographien, „Grundlage einer Ehrenpforte“, aufgenommen und war von 1740-48 Hofkapellmeister in Kopenhagen. Dort beeinflusste er das Konzertleben und wirkte später in Sonderburg und zum Lebensende wieder in der Dänischen Hauptstadt als Musiklehrer, Komponist und Übersetzer der Werke Ludwig Holbergs, dem Grieg später seine Suite widmen sollte. Leider ist nur ein sehr geringer Bestand seiner Werke auf uns gekommen, da der Großteil beim Brand des Schlosses Christiansborg mitsamt der kompletten königlichen Musikbibliothek unterging.

Scheibes Kritik und Birnbaums Replik

In seiner Glosse im „Critischen Musikus“ warf Scheibe Bach – ohne dessen Namen explizit zu nennen – vor, zu polyphon zu komponieren, Singstimmen wie Instrumente zu behandeln und Verzierungen, die jeder verständige Musiker improvisieren könne, explizit auszuschreiben. Dieses wirke dann gekünstelt und unnatürlich, sodass es bei den Zuhörern nicht ankäme. Die Replik des Rhetorik-Professors Adam Birnbaum bezieht sich dann vorwiegend auf sprachliche Spitzfindigkeiten und konzediert dem Stil Bachs größere Tiefe und Kunstfertigkeit im Vergleich mit den angenehmer zu hörenden und unterhaltsameren Kompositionen Telemanns, Johann Adolph Hasses und Carl Heinrich Grauns.

Den Hintergrund bildet die Tatsache, dass Bach grundsätzlich vierstimmig dachte und alle Stimmen gleichermaßen forderte, während das Gerüst der Komponisten des galanten Stils nur mit zwei bis drei Stimmen auskam und Mittelstimmen als Füllung angesehen wurden, was einen stärkeren Akzent auf die Führung von Melodie und Bass legte. Diese Kompositionsweise führt dann direkt in die Wiener Klassik.

Charakteristische Auswahl

Scheibes Kompositionen würde man, sollte man den Komponisten raten, eher Telemann oder den Gebrüdern Graun, eventuell auch Christoph Graupner zuschreiben. Sie sind ausgesprochen melodisch, anrührend, empfindsam und klangschön (Vergl. Edle Unschuld, gib die Gründe, Tr. 2). Für Bach wurde je ein Bespiel für die instrumentale Stimmführung (Jauchzet Gott, BWV 51 mit von Friedemann Bach hinzugefügter zweiter Trompete), übermäßige Ornamentierung (Sinfonia zu BWV 21) und dichten Satz (Sinfonia in D, BWV 1045) aufgenommen. Allerdings wäre zur Ornamentierung anzumerken, dass Bach diese für seine noch wenig erfahrenen Schüler notierte. Ein schönes Beispiel bildet hier der Vergleich des Autographs der Französischen Suiten mit späteren Abschriften seiner Schüler, die eine wesentlich höhere Dichte an Verzierungen aufweisen. Wenn man an die für Farinelli in London geschriebenen Arien denkt, relativiert sich auch die instrumentale Stimmführung ein wenig. Allerdings war Leipzig nicht London und die Bach zur Verfügung stehenden Sänger keine Farinellis.

Gelungene Interpretation

Alle Beteiligten sind mit Lust bei der Sache. Marie-Sophie Pollak singt Jauchzet Gott auf allerhöchstem Niveau, leistet jedoch sich in anderen Stücken, die noch nicht so gut in der Kehle verankert sind, zu viele saure Töne in der Höhe. Deshalb der Punktabzug. Max Volberts leitet das famos aufspielende Concerto Köln souverän und hat ein ausgesprochenes Händchen für die Affekte dieser Musik.

Aufnahmetechnisch ist nichts zu bemängeln. Der Booklet Text des Dirigenten ist ausgesprochen informativ und wohlfomuliert.

Fazit: Eine interessante, interpretatorisch gelungene Gegenüberstellung zweier von unterschiedlicher Kunstauffassung geprägter Komponisten. Schön, diesen Disput einmal klingend nachvollziehen zu können.

Thomas Baack [25.10.2025]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Jauchzet Gott in allen Landen BWV 51 (Kantate zum 15. Sonntag nach Trinitatis et in ogni Tempo; I. Aria) 00:04:16
Johann Adolf Scheibe
2Wer sich rühmen will SchW B2:204 (V. Aria: Edle Unschuld, gib die Gründe) 00:07:33
Johann Sebastian Bach
3Concerto c-Moll BWV 981 (I. Adagio) 00:02:16
4Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 (Kantate zum 3. Sonntag nach Trinitatis und für jede Zeit; Sinfonia) 00:03:01
Johann Adolf Scheibe
5Der Engel des Herrn lagert sich SchW B2:205 (Concerto In Festo Michaelis; III. Aria: Sehr geschwinde gleich dem Winde) 00:03:42
Johann Sebastian Bach
6Geschwinde, ihr wirbelnden Winde BWV 201 (Der Streit zwischen Phoebus und Pan, Kantate; III. Aria: Patron, das macht der Wind) 00:02:36
Johann Adolf Scheibe
7Sinfonia D-Dur (Der Tempel des Ruhmes) 00:07:11
Johann Sebastian Bach
10Himmelskönig, sei willkommen BWV 182 (Kantate; I. Sonata) 00:04:11
Johann Adolf Scheibe
11Den døende Jesus SchW B2:302 (Sonata) 00:05:58
Johann Sebastian Bach
12Lobet Gott in seinen Reichen BWV 11 (Himmelfahrts-Oratorium, Kantate; X. Aria: Jesu, deine Gnadenblicke) 00:06:48
Johann Adolf Scheibe
13Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu SchW B2:301 (XIII. Aria: Willkommen, Heiland) 00:08:53
Johann Sebastian Bach
14Süßer Trost, mein Jesu kömmt BWV 151 (Kantate; XIII. Aria: Willkommen, Heiland) 00:08:21
15Sinfonia D-Dur BWV 1045 00:06:19

Interpreten der Einspielung

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