Dmitry Shostakovich
Symphonies Nos. 9 & 15
SWRmusic 93.284
1 CD • 72min • 2009, 2010
01.05.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Es war gewiß nur ein Zufall, dass ich mich nur wenige Tage vor dem Eintreffen dieser CD ausgerechnet mit Sergiu Celibidaches Münchner Mitschnitt der „zierlichsten Neunten aller Zeiten" auseinandersetzte und mir dabei wieder einmal schlagartig bewußt wurde, dass tatsächliche Größe sich letztlich umgekehrt proportional zu den Bedeutungen verhält, die dem Kunstwerk aufgepfropft werden. Wohl wissend, dass gerade Dmitri Schostakowitsch durch seine unzähligen Anspielungen, Zitate, autobiographischen Einsprengsel, versteckten politischen Proteste und Schlitzohrigkeiten in ganz besonderem Maße die „Interpretation" provoziert, hörte ich bei „Celi" wieder einmal, wie man durch die Befreiung von diesen Zeichen – deren Existenz ja nicht geleugnet, für ein wirkliches „Werk" aber nicht als unabdingbar erachtet wird – in Regionen vorzustoßen vermag, in denen das reinliche, reine Urbild des Geschaffenen daheim ist, das uns am Ende immer noch am meisten fasziniert und der eigentliche Grund dafür sein dürfte, dass wir uns bestimmten Kreationen häufiger-sehnsüchtiger zuwenden als anderen, die scheinbar ganz ähnlich gelagert sind.
Was hätte das nun alles mit dem Schostakowitsch zu tun, den uns Andrey Boreyko und das RSO Stuttgart hier präsentieren? Nicht mehr und nicht weniger, als es auch in diesen – klanglich übrigens für Live-Mitschnitte vorbildlich eingefangenen – Aufführungen aus den Jahren 2009 und 2010 gelungen ist, von den tönenden Ereignissen den ganzen Ballast abzustreifen, der die Schostakowitsch-Pflege im Laufe der Zeit vielerorts zu einem unablässigen Bedauern und Mitleiden herabgezogen hat. Boreyko läßt musizieren, was geschrieben steht, gibt besonders in der frechen „Anti-Neunten" auch schon mal ein bißchen Gas, hat aber allenthalben die Hand am komponierten Puls. Wenn es knirscht im rhythmischen und klanglichen Gefüge, dann nicht, weil etwas hinzugefügt würde, sondern weil das, was Schostakowitsch geschrieben hat, völlig ausreicht, um kolossale Effekte zu erzielen wie etwa durch die aufeinander losprügelnden Schichten, die im Finale der neunten Sinfonie der tamburin-rasselnden Apotheose voraufgehen.
Noch besser bekommt diese „Entfrachtung" der fünfzehnten Sinfonie und ihrem schier unendlichen Beziehungsreichtum. Der Verzicht auf die „Deutung" zugunsten einer möglichst transparenten, filigranen Erhellung des Notierten resultiert eben nicht in einer beiläufigen, am Ende vielleicht sogar oberflächlich heruntergespielten und absolvierten Partitur: Zwischen dem giftigen Witz des Rossini-Zitats und der tiefen Dramatik des „Wagner-Satzes", zwischen den weithin kammermusikalischen, von mancherlei exzellenten Solisten gekrönten Strecken und den wenigen, dafür desto vulkanischer dreinfahrenden Ausbrüchen besteht eine derart natürliche Spannung, dass jeder Versuch, das „tragische Leben eines verantwortungsbewußten Sowjetkomponisten" tränenselig vor uns auszubreiten, letztlich ein Frevel wäre, weil die Größe dessen, was wir hier vor uns haben, damit auf das Niveau des Jämmerlichen heruntergezerrt würde. Dass das im Juni 2010 in der Stuttgarter Liederhalle nicht passierte, muß das Publikum ganz unmittelbar gespürt haben: Nach einem angemessenen Moment des Schweigens – der Schluß des Werkes ist ja auch zu delikat – bricht ein stürmischer Beifall des Verstehens los. Dem kann ich mich nur anschließen.
Rasmus van Rijn [01.05.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 | 00:26:43 |
6 | Sinfonie Nr. 15 A-Dur op. 141 | 00:44:12 |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Andrey Boreyko (Dirigent)