BIS 975
1 CD • 82min • 1998, 2001
26.11.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit der nicht nur pianistisch, sondern auch ganz allgemein sehr engagiert im Kulturleben verankerten Japanerin Noriko Ogawa „gastiert“ beim schwedischen Label BISt eine Persönlichkeit von erheblicher Energie und Ausstrahlung. Ihre Gesamtaufnahme der Klavierwerke von Claude Debussy bestätigte ihr enormes Empfinden für klangliche Unterscheidungen und Verzauberungen, aber auch ihre klare, kontrollierte rhythmische Impulsivität. Deshalb zögere ich nicht, diese Produktion auf eine Ebene mit den älteren Kocsis-Aufnahmen (Philips) und der gerade vervollständigten, in den Konturen etwas weicheren mit Jean-Efflam Bavouzet zu platzieren (Chandos).
Natürlich wird sich der erfahrene Rachmaninoff-Hörer zunächst die Frage stellen, ob es einer wenn mich nicht alles täuscht – zierlichen Japanerin nicht an Kraft und solistischer Durchsetzungskraft fehlt, wenn sie sich mit den Klavierkonzerten Rachmaninoffs „anlegt“. Im Feinmechanischen der beiden rahmenden Konzerte Nr. 1 und 4, vor allem aber in der verwinkelten, einem motivischen Slalom ähnelnden Paganini-Rhapsodie sollte eine ungemein flink und zielgenau operierende Musikerin wie Noriko Ogawa keine Probleme haben. Es handelt sich ja hier um ein Terrain, das den Silberstiftzeichnungen, den leichten Fliehkräften ihrer huschenden Mobilität so familiär scheint wie die Umgangssprache auf heimischen Boden. Doch damit nicht genug! Diese in ihren Tätigkeiten als Förderin, Kammermusikerin, Wohltäterin und Übersetzerin so aktive Persönlichkeit besitzt auch jene Mittel, die eine Rachmaninoff-Deutung erst zu einem aufregenden Erleben abrunden. So sind die Akkordkaskaden und -auftürmungen im ersten Satz des fis-Moll-Konzerts von beträchtlicher Wucht und körperlicher Umfänglichkeit, wobei sie wie maßgeschneidert in den philharmonischen Anzug des überaus aufmerksamen, bestens gestaffelt wirkenden Orchesters eingepasst wirken. Lediglich Byron Janis vermochte es, in seiner klanglich so opulenten Mercury-Einspielung noch etwas mehr an gleißendem Licht, an musikalischen Wattwerten herauszuholen.
Es ist das kleine, sicher zu vernachlässigende Pech Ogawas, dass wir mit der erwähnten Janis-Interpretation und mit Benedetti Michelangelis Londoner Darbietung des g-Moll-Konzerts (op. 40) zwei so genannte Jahrhundert-Interpretationen zur Wahl haben. Zwei Veröffentlichungen, die wie ganz selten im Bereich eines Werkes so etwas wie die erträumte Verwirklichung des Perfekten darstellen. An ihnen kommt niemand vorbei, aber es ist eine bewundernswerte Leitung, wenn gelegentlich ein Pianist oder – wie hier – eine Pianistin in die Nähe dieser musikantischen Wegweisungen gelangt. Benedetti Michelangeli gelingt es, den scheckigen Musterungen des g-Moll-Verwirrspiels den Anschein eines Ganzen, einer Zusammenstellung von Gefühls- und Mechanikpartikeln zu verleihen, denen wider alle kompositorische Unvernunft etwas Unabwendbares, Unaustauschbares anhaftet. Nogawa ist dem in weiten Teilen auf der Spur, aber etwa das nervige Akkord-Accellerando im ersten Satz ist und bleibt in Benedetti Michelangelis Handhabe unerreicht.
Mit der Paganini-Rhapsodie und damit im Zwielicht von Virtuosen-Glanz und „Dies irae“-Schrecken bewegt sich Noriko Ogawa mit der feurigen Gescheitheit einer Interpretin, die es spürbar leicht fällt, den bald fulminanten, bald gefühlsgeladenen Tanz an der Schwelle von Lebensfreude und Tod zu formatieren, greif- und begreifbar zu machen. Dem Orchester aus Malmö und seinem Dirigenten Owain Arwel Hughes ist ein ungemein hellhöriges Dabeisein zu attestieren, ein kooperatives Tun und Lassen, das sich auf die Rachmahninoff-Kenntnisse des Orchesterleiters und auf das hohe Können des sinfonischen Ensembles stützt.
Vergleichsaufnahmen: Klavierkonzert Nr. 4: Ashkenazy – Previn (Decca SKH-25075-D/1-3 LP, bzw. Decca 444839-2), Ashkenazy – Haitink (Decca 421 590-2), Shelley – Thomson (Chandos 8882/3), Benedetti Michelangeli ?Gracis (EMI/Electrola 1 C 053-00140, bzw. EMI CDC 7 49326 2), Kocsis – de Waart (Philips 411 475-2), Feltsman – Mehta CBS MK 44761), Wild – Horenstein (Chesky Records CD 41), Entremont – Ormandy (Sony SBK 46541), Black – Buketoff (Chandos 8987), Adomeit – Lücker (Bayer Records 100194), Rudy – Jansons (EMI 5551882), Lill – Otaka (Nimbus Records 5478), Zak – Kondrashin (APR 6005), Benedetti Michelangeli – Caracciolo (Altara 1023), Sudbin – Llewellyn (BIS SCAD 1728).
Peter Cossé † [26.11.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Sergej Rachmaninow | ||
1 | Piano Concerto No. 1 f sharp minor op. 1 for Piano and Orchestra | 00:28:44 |
4 | Piano Concerto No. 4 g minor op. 40 | 00:27:04 |
7 | Rhapsodie über ein Thema von Paganini a-Moll op. 43 für Klavier und Orchester | 00:24:48 |
Interpreten der Einspielung
- Noriko Ogawa (Klavier)
- Malmö Symphony Orchestra (Orchester)
- Owain Arwel Hughes (Dirigent)