Nordic Concertos
BIS 2123
1 CD • 76min • 2001, 1998, 2003, 1996
01.05.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das schwedische Label BIS hat sich im Lauf der Jahrzehnte vom klassischen Repertoirelabel für Sammler gewandelt zu einem weniger systematischen und dadurch für andere Überraschungen offenen Ausbau des Katalogs. Da man mit einigen Stars der internationalen Szene wie Sharon Bezaly, Martin Fröst, Yevgeni Sudbin, Osmo Vänskä oder Christian Lindberg kontinuierlich zusammenarbeitet, fallen dann schon auch einmal Sonderveröffentlichungen an, wie sie früher eher für die Popszene typisch waren – nach der Art von „Best of“…, nur natürlich mit der klassischen Etikette kompatibel, wie in vorliegendem Fall ‚Nordic Concertos’. Die enthaltenen, klanglich durchweg ausgezeichneten Aufnahmen sind allesamt Wiederveröffentlichungen (aus teils noch erhältlichen, im Falle von Hillborg jedoch längst vergriffenen CDs) und stammen aus den Jahren 1996 (Crusell), 1998 (Holmboe), 2001 (Hillborg) und 2003 (Rehnqvist), wobei es sich beim Hillborg-Konzert um eine Übernahme von der finnischen Ondine handelt. Ob die aktuelle Zusammenstellung, also die „Dramaturgie der Abfolge“, von Fröst selbst vorgenommen wurde, ist aus dem Booklet, das solide, kompakte Einführungen zu den Werken (nicht zu den Komponisten) enthält, nicht ersichtlich. Den Anfang macht Anders Hilborgs seinerzeit sofort erfolgreiches, einsätziges Klarinettenkonzert Peacock Tales von 1998, das mit einer knappen halben Stunde umfangreichste Werk, gefolgt vom 3. Kammerkonzert op. 21 von 1940-42 von Dänemarks Großmeister der klassischen Moderne Vagn Holmboe (1909-96), dem 2002 entstandenen Klarinettenkonzert von Hillborgs schwedischer Landsmännin Karin Rehnqvist und Introduktion, Thema und Variationen über eine schwedische Weise op. 124 vom Finnschweden Bernhard Henrik Crusell (1775-1838). Es beginnt also mit postmoderner Idylle und endet mit einer von der Wiener Klassik spielfreudig geprägten Idylle, den Variationen über das Trinklied „Gode gosse, glaset töm“ (Trink aus, mein Freund). Die zwei interessanteren, anspruchsvolleren, tiefergehenden Werke liegen dazwischen.
Hillborgs Konzert hat etwas geradezu poppig Eingängiges und auch Mitreißendes. Die Abschnitte sind sehr lose, aber mit Geschick, Gespür und Witz verknüpft. Die Klarinette trumpft mit Klezmer-Intonationen auf, Minimal-Versatzstücke, ätherische Klangflächen, heftige, teils hysterisch schreiende Ausbrüche, ein verhaltenes Klaviersolo usw. – das Spektrum der Stil- und Klangmittel ist sehr weit gefächert, das Werk als Ganzes glänzende Unterhaltung, die den stärksten Eindruck beim ersten Mal macht. Fröst, dem diese musikantisch zündende, abwechslungsreiche Musik „auf den Leib geschrieben“ ist, wird geistesgegenwärtig sekundiert vom Symphonieorchester des Schwedischen Rundfunks unter Esa-Pekka Salonen. Es folgt, weniger brillant begleitet, doch um Myriaden substantieller, Holmboes Kammerkonzert mit den Aalborger Symphonikern unter Owain Arwel Hughes. Es ist ein herrliches zweisätziges Werk, das die ganze Größe Holmboes schlagend offenbart, von der unerhörten Liebe zum erlesenen Detail bis hin zum unwiderstehlichen Verlauf der Form als Gesamtzusammenhang. Wer Bartók, späten Nielsen und Janácek oder frühen Hindemith mag, findet hier eine so grandiose wie eigenständige Fortführung, und Holmboe hat das kleine Orchester einfach effizienter einzusetzen verstanden als das große. Karin Rehnqvist ist eine der interessantesten Figuren der skandinavischen Moderne. Sicher sind satztechnische Limits vernehmbar, und der extravertiert herausschießende Ausdruck liegt ihr weit weniger als introvertierte Spektrum. Sie möchte stets naturnah in ihrem Ausdruck sein, was natürlicherweise Mikrotonalität einbezieht, aber logischerweise eben auch ohne vernehmbar systematische Ordnung. Ihr Konzert On a Distant Shore ist eine Art abstrakter Programmmusik mit den teils ineinander übergehenden fünf Satztiteln The Dark, The Light, The Wild, The Singing und The Call. Vielleicht kann man diese Musik nicht allzu oft hören, ohne dass auffällt, dass die Dichte der Substanz nicht mit der Feinheit der Empfindung Schritt hält, doch auf Anhieb strahlt sie einen ganz eigentümlichen Zauber aus und fesselt mit ihrer ehrlichen, dem Mainstream abgewandten, bewussten Abstrusität. Am Ende bleibt die Klarinette mit ihrer melismatisch verwilderten Anrufung alleine. Und dann kommt Crusell, ein den Klarinettisten wohlbekannter Beethoven-Zeitgenosse von gediegener, durchaus wertvoller, jedoch zweifelsohne auch ganz konventioneller Prägung. Ein versöhnliches Ende, das uns zu verstehen gibt, dass „die Welt in Ordnung ist“. Ist sie nicht, doch das steht auf einem anderen Blatt: nach Holmboe und Rehnqvist wirkt das zur Kleinkunst reduzierend, anstatt den Raum ins Unbekannte offenzuhalten. In allen Werken ist Fröst ein Meister von erlesensten Qualitäten – hinsichtlich Intonation, farbenreich makelloser Tonschönheit und lebendig pulsierendem Rhythmus ohnehin, aber eben gerade auch bezüglich der kontinuierlich atmenden Gestaltung, der sanglichen Phrasierungskunst, des Eindrucks spontaner Freiheit in der mätzchenfreien Hingabe an den Geist der jeweiligen Musik.
Christoph Schlüren [01.05.2015]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anders Hillborg | ||
1 | Konzert für Klarinette und Orchester (Peacock Tales) | 00:28:43 |
Vagn Holmboe | ||
2 | Konzert op. 21 für Klarinette und Orchester | 00:16:46 |
Karin Rehnqvist | ||
4 | Konzert für Klarinette und Orchester (On A Distant Shore) | 00:17:47 |
Bernhard Henrik Crusell | ||
9 | Introduction, Theme and Variations on a Swedish Air op. 124 | 00:11:14 |
Interpreten der Einspielung
- Martin Fröst (Klarinette)
- Swedish Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Esa-Pekka Salonen (Dirigent)
- Aalborg Symphony Orchestra (Orchester)
- Owain Arwel Hughes (Dirigent)
- Swedish Chamber Orchestra (Orchester)
- Petter Sundkvist (Dirigent)
- Östgöta Symphonic Wind Ensemble (Blasorchester)
- Arie van Beek (Dirigent)