Johann Sebastian Bach
The French Suites
Murray Perahia
DG 00289 479 6565
2 CD • 1h 32min • 2013
19.11.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Murray Perahia hat dem Bach-Spiel in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine völlig neue Perspektive eröffnet, ohne dass er je beabsichtigt hätte, originell oder neuartig zu sein. Und er ist es auch nicht, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie ein Dinu Lipatti oder Edwin Fischer gespielt haben. Und doch: angesichts der ungeheuren Nachahmungswelle, die Glenn Goulds Aufnahmen auslösten und deren Suggestion sich fast kein Pianist entziehen konnte, ob er sich nun pro oder contra dazu verhalten wollte, musste ein neues Leitbild unbedingt zu wünschen sein. Perahia hat es geschafft, ein solches zu liefern, ohne dass dies je seine Absicht gewesen wäre. Er spielt mit aller Natürlichkeit, die ihm aufgrund einer durch und durch kultivierten Durchdringung der Gesamtgestalt und aller diese bildenden Details zur Verfügung steht. Perahias Bach ist im polyphonen Verlauf nicht weniger deutlich strukturiert als derjenige Goulds, doch bedarf er dafür keiner ‚Trockenlegung’ der Faktur, keines Unterstreichens skeletthafter Abstraktion, keiner manischen Obsession mechanisch artikulierten Momentums. Er lässt die Musik in sanfter, niemals gewaltsam artikulierter aus den ihr innewohnenden Kräften heraus wie von selbst entstehen, und auch wenn dem selbstverständlich ein tiefgreifender analytischer Prozess vorausgegangen ist, ist nirgendwo so etwas wie der Eigenwille des Interpreten zu spüren.
Sein Spiel ist dabei grundsätzlich auch pianistisch von singulärer Vollendung: alles singt, kein Ton sticht unkontrolliert heraus, kein Staccato kommt unangemessen kurz daher, die Basslinie ist dynamisch vollkommen beherrscht, es gibt keinen unrunden Moment auch in den dichtesten Passagen. Zugleich ist er ein Musiker, der als Exempel dafür dienen kann, dass man Klavier nicht mit den Fingern spielt, wie dies unter vielen auch Leschetitzky sagte. Man spürt durchgehend jene innere Freiheit, die es nicht mehr nötig hat, etwas zu demonstrieren, im Streit der vielen Richtungen eine Position beziehen zu wollen. Perahias Spiel eignet nicht nur eine herrliche Schwerelosigkeit, die ihn völlig unabhängig von den metrischen Schwerpunkten phrasieren, sondern eben auch eine innere Losgelöstheit, wie von Licht durchflutet, die über alle Gegensätze von Schwermütigem und Heiterem, Verinnerlichendem und Beflügeltem hinausstrahlt. Die Musik kann sich unter seinen Händen gewissermaßen aus ihrer eigenen Logik entfalten, und der Musiker stellt sich zur Verfügung, um die Wirklichkeit, die den Komponisten beseelte, unmittelbare Gegenwart werden zu lassen. Zugleich ist diese Aufnahme, die auch vom Klangbild her grandios ist, eine heute einmalige Gelegenheit, die Erfahrung der unglaublichen Vielschichtigkeit subtiler Mannigfaltigkeit zu machen, denn wo es nicht auf grobe Wirkungen ankommt und die Willkür des narzisstischen Interpretentums keinen Zutritt hat, kann sich der ganze unerschöpfliche Reichtum eines Innenlebens entfalten, das bei kaum einem anderen Komponisten so lebendig und kraftvoll war wie bei Johann Sebastian Bach.
Eine Aufnahme, die über die Epochen hinweg verbindet und die Dimension der Zeit transzendiert, wie dies vielleicht einst Ferruccio Busoni vorgeschwebt hat. Dieses Doppelalbum mit den Französischen Suiten, versehen mit einem feinen Interview-Porträt-Beitrag von Jessica Duchen, hat Perahia bereits im Juli 2013 in der wunderbaren Akustik des Ostberliner Funkhauses in der Nalepastraße (im großen Saal) aufgenommen, und nun erscheint es, nachdem Sony ihn noch mit einer Gesamtausgabe seiner Aufnahmen aus vierzig Jahren geehrt hat, als sein Debüt bei der Deutschen Grammophon. In so schlichter wie unermesslich reicher Vollendung.
Christoph Schlüren [19.11.2016]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Französische Suite Nr. 1 d-Moll BWV 812 | 00:14:14 |
6 | Französische Suite Nr. 2 c-Moll BWV 813 | 00:14:06 |
12 | Französische Suite Nr. 3 h-Moll BWV 814 | 00:14:43 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Französische Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 815 | 00:16:02 |
8 | Französische Suite Nr. 5 G-Dur BWV 816 | 00:16:51 |
15 | Französische Suite Nr. 6 E-Dur BWV 817 | 00:15:10 |
Interpreten der Einspielung
- Murray Perahia (Klavier)