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Besprechung CD

Mieczysław Weinberg

Piano Sonatas

cpo 555 104-2

1 CD • 66min • 2016

05.03.2018

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Vor 10 Jahren waren CDs mit (ausschließlich) Weinbergs Musik Raritäten – heute ist die kontinuierliche Weinberg-Wiederentdeckung so fortgeschritten, dass man eine Rezension seiner Musik inziwschen sogar ohne Abriss des Lebenslaufes beginnen kann. Es ist eine Lebensgeschichte mit den Leitmotiven Vertreibung, Mord, Terror und Antisemitismus. Vielerlei davon drückt sich in der Musik Weinbergs aus, die generell zu einem dunklen, tragischen Ton neigt – „wie Schostakowitsch, nur ohne das Lächeln“. Nicht so seine Zweite Klaviersonate op. 8, die er 1942 in Taschkent, mitten im Krieg – aber geographisch weit davon entfernt – zu Papier brachte. Uraufgeführt wurde sie von dem 26-jährigen Emil Gilels nachdem Weinberg, auf Schostakowitschs Initiative, nach Moskau ziehen durfte.

Mit dieser Sonate eröffnet die engagierte Weinberg-Exegetin Elisaveta Blumina hier ihre Fortsetzung der Einspielung von Weinbergs gesamter Solo-Klaviermusik. Gute Musik braucht mehrere – gute – Aufführungen und Einspielungen, um die verschiedensten Betrachtungsweisen zu bieten, die notwendig sind, um den persönlichen Zugang zu einem Werk zu finden. Es kann nur der Anfang sein, wenn mit Elisaveta Bluminas Aufnahmen nun hoffentlich bald die, nach Allison Brewster Franzetti (Grand Piano) zweite, Gesamteinspielung von dem recht überschaubaren Klavierschaffen Weinbergs verfügbar ist.

Der erste Satz der Zweiten Sonate – ein wirbelwindartig davonsteubendes eingängiges Thema mit Perpetuum-mobile-Charakter – wird von Elisaveta Blumina schlank und vornehm, nicht aber unbedingt schnell genommen. Kontrolle und Eleganz, nicht halbrecherische Fahrt, stehen im Vordergrund. Ton und Anschlag sind kräftig und penibel gesetzt. Erstaunlich anders, nämlich eben gerade halbrecherisch, klingt das bei Murray McLachlan (Divine Arts): Da stürmt jemand wild durch die Passagen mit unaufhaltbarer Dynamik; gallopierend, nicht tänzelnd. Der zweite Satz, ein Scherzo (Allegretto) welches erst langsam und tief ruminierend auf der Tastatur weidet, nur um plötzlich zum Leben erweckt zu werden, wird bei Elisaveta Blumina zu einer Meditation. McLachlan braucht gute zwei Minuten wo Elisaveta Blumina sich fast vier Minuten Zeit nimmt. Viel Scherzo-Charakter bleibt da nicht übrig… eher denkt man an eine melancholische Zirkustruppe. Besser gelingt der dritte Satz, ein Adagio mit Wiegenlied-Disposition, das sich unter Elisaveta Bluminas Fingern Mobilé-gleich an der Decke hängend graziös dreht und bewegt (und bei McLachlan bedenklich wackelt). Allison Brewster Franzetti, die sich in den meisten Sätzen am meisten Zeit nehmende Interpretin, macht ein Schlaflied daraus und wacht auch für das Finale nicht auf… Elisaveta Blumina dagegen schnellt, „Vivace“ ernst nehmend, aus der Besonnenheit auf und sorgt für ein nuancenreiches, soigniertes Finale.

Die Sonatine op.49 von 1950 widmete Weinberg Kollege Schostakowitsch. Sie wuchs in ihrer Überarbeitung 28 Jahre später zur Sonate op.49bis an. Ihr lockerer, leichter und einnehmend-melodischer Charakter verwundert nicht, ist das Werk doch z.T. den Kinderheften Weinbergs entlehnt. Den ersten Satz spielt Elisaveta Blumina sehr viel mehr „leggiero“ denn „Allegro“. Ausnahmsweise klingt Brewster Franzettis Konzept hier schlüssiger, was aber schon im nächsten Satz hinfällig wird, da letztere den unschuldig daherkommenden Spieluhr-Waltzer des Andantino wie einen Strudelteig bis zur Unkenntlichkeit auseinanderzieht und die Dissonanzen, vor denen sich Elisaveta Blumina nicht scheut, herunterspielt. Im Finale bringt die russische Pianistin die unbeholfene, immer mehr an Stärke gewinndende und doch immer wieder unterbrochene Kantigkeit des Allegretto fein heraus.

In der 1955 geschrieben Vierten Sonate op. 56 in h-Moll herrscht erst einmal Dunkelheit. Weinberg war zwischenzeitlich im Zuge Stalins paranoider Judensäuberungen verhaftet und erst durch den Tod des Diktators gerettet worden, ewas, das man gerne in das Werk hineininterpretieren darf. Der erste Satz fängt mit einem Ohrwurm an, der auch nahtlos in Schostakowitschs Präludien und Fugen passen würde. Der wird prompt von einem noch effektiveren Ohrwurm im zweiten Satz ersetzt. In die sanft-melancholische Qualität des letzten Satz mischt sich an Schumann erinnerndes gesangliches und sogar genuin heiteres Material.

Mit Ausnahme des ersten Satzes, wo der feine Schwung Brewster Franzettis gut zur Geltung kommt, ist Elisaveta Blumina, hier wie fast überall, die interessantere Interpretin.

Jens F. Laurson [05.03.2018]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Mieczyslaw Weinberg
1Klaviersonate Nr. 2 a-Moll op. 8 00:19:29
5Klaviersonate op. 49bis 00:16:23
8Klaviersonate Nr. 4 h-Moll op. 56 00:29:20

Interpreten der Einspielung

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