Michael Haydn
Die Wahrheit der Natur
cpo 555 032-2
1 CD • 80min • 2015
17.09.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Was müssen das für musikalisch begabte und leistungsbereite Gymnasiasten gewesen sein im Salzburg des 18. Jahrhunderts, die in nur 5 Tagen eine solch musikalisch komplexes „Singspiel“, das sich fast zu einer barocken Operette auswächst, einstudiert und aufgeführt haben! Das Ganze fand statt im Gymnasium der Benediktineruniversität anlässlich einer Visitation dieser Lehranstalt am 12. Juli 1769, die Musik ist von keinem Geringeren als von Michael Haydn, dem von Mozart hochgeschätzten Komponistenkollegen, der Text stammt von einem Benediktinerpater. Vor dieser Aufführung spielten die Schüler eine lateinische Tragödie. Was müssen das für Gymnasien gewesen sein, in denen es extra einen „Intendanten“ gegeben hat für Theateraufführungen, lateinische oder deutsche, mit Musik oder ohne. Lustigerweise hieß dieser gymnasiale Theaterintendant „Pater comicus“ und war ein so begehrtes Amt, dass es um diese Besetzung feine Intrigen und handfeste Streitereien gab.
All dies ist thematisiert in dem Singspiel mit dem Titel Die Wahrheit in der Natur in den drei irdischen Grazien, nämlich in der Dichtkunst, Musik und Malerei. Den Text zu diesem Dramatischen Scherzgedicht in drei Teilen schrieb Pater Florian Reichssiegel. Sein Libretto spielt virtuos mit mehreren Ebenen, verpackt eine kunsttheoretische Diskussion in eine „Operette“ und amüsiert mit Arien in salzburgischem Dialekt, die direkt auf den konkurrierenden Mitbruder zielen.
Das Label cpo veröffentlicht seit geraumer Zeit die Musik von Michael Haydn, diese barocke „Operette“ ist ein köstliches Fundstück, das Wolfgang Brunner mit seiner Salzburger Hofmusik mit findig-musikhistorischer Kompetenz, mit liebevollem Charme und viel Spielfreude präsentiert. Da gibt es zahlreiche Orchesterstücke: ein heiter-serenadenhaftes Andante, einen flotten Marsch, der die falsche Rechtschreibung des verspotteten Paters aufspießt (Fähnium-Marsch soll von lateinisch „Venus“ herrühren), ein liebreizendes Menuett und einen langen Auszug der Gäste im Finale – alles von der Salzburger Hofmusik mit orchestralem Genuss und doch kammermusikalischer Feinheit gespielt.
Maximilian Kiener singt mit schnellem Vibrato seines Tenors den „Mentor“, der mit Hilfe der Wahrheit die Natur in den Künsten sucht – Rousseau lässt grüßen. Dieser Mentor darf am Ende Aglaia, eine Tochter der Natur und Muse der Dichtkunst (Lina Ferencz mit tiefdunklem Alt), heiraten. Diana Plasse ist mit klar-geradem Sopran Thalia, die Malerei, Nele Gramß ist – mit knabenhaft schlankem Mezzosopran - Euphrosina, die Tonkunst.
Mit komödiantischem Vergnügen gestalten Virgil Hartinger und Markus Miesenberger die dialektgeprägten hochkomischen Arien: Sowohl der Lauskrieg (A Lauserl beißt’s Wanzerl in Kopf), ein Beziehungswirrwarr zwischen Laus, Wanze und Floh, als auch die betrübliche Geschichte eines Hundes, dem seine Freunde zu Hilfe eilen und dabei selbst umkommen (Der Trutzerl war a wackrer Hund), eine Trauer-Arie samt Schluchzer-Triller im hochtragischen g-Moll, und vor allem ein Lob auf ganz irdische Freuden (Ich liebe das Essen) entzücken. Am Schluss darf eine Fürsten-Mahnung nicht fehlen: Fürsten Euch geht dieses an! Warum aber gerade die Stimme der Natur, die diese Mahnung ausspricht, ein Altus (Armin Gramer) sein muss, erschließt sich nicht.
Insgesamt: eine CD, die wieder einmal die vielfältige Kunst eines Michael Haydn zeigt, der sich einem Mozart oft durchaus ebenbürtig zeigt und der immer noch sträflich vernachlässigt wird im normalen Konzertgetriebe.
Rainer W. Janka [17.09.2018]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Michael Haydn | ||
1 | Die Wahrheit der Natur MH 118 (in den drei irdischen Grazien, nämlich in der Dichtkunst, Musik und Malerei. Ein Singspiel) |
Interpreten der Einspielung
- Maximilian Kiener (Mentor - Tenor)
- Armin Gramer (Die Natur - Alt)
- Lina Ferencz (Aglaia, die Dichtkunst - Alt)
- Nele Gramß (Euphrosina, die Tonkunst - Mezzosopran)
- Diana Plasse (Thalia, die Malerei - Sopran)
- Virgil Hartinger (Herr Vollstreich - Tenor)
- Markus Miesenberger (Herr von Wurmstich - Tenor)
- Salzburger Hofmusik (Ensemble)
- Wolfgang Brunner (Dirigent)