Jean Guillou
Organ Works Vol. 1
MDG MDG 906 2089-6
1 CD/SACD stereo/surround • 72min • 2018
31.01.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Er war eine der prägendsten Gestalten für die Orgelmusik des 20. Jahrhunderts, ein Charakter, dessen Musik sich in kein Schema pressen lässt, in keine Schublade passt und der für die zeitgenössische Orgelmusik wie für den modernen Orgelbau bleibende Impulse gegeben hat: Jean Guillou. Er war gleichermaßen Rebell wie Visionär, Bewahrer der Tradition wie deren Erneuerer, und unermüdlich darum bemüht, die Orgel aus einem rein kirchlich-liturgischen Nischendasein in den Focus des öffentlichen Lebens zurückzuholen. Kurzum: er war eine der großen Organistenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Der Titularorganist der Pariser Kirche St. Eustache, an der er von 1963 bis 2015 amtierte, hat sich wie kein Zweiter um die Zukunft der Orgel verdient gemacht, hat neue Konzepte entwickelt und in seinen Werken neue klangliche und musikalische Sphären erschlossen. Höchste Zeit also, den im Januar 2019 plötzlich verstorbenen Guillou mit einer Gesamteinspielung aller Orgelwerke zu würdigen.
Kreativer Umgang mit der Tradition
Das macht nun die Organistin Zuzana Ferjenčiková, die zu seinen Lebzeiten eng mit Guillou zusammengearbeitet hat, und deshalb ein gewisses Maß an Authentizität für sich beanspruchen darf. Sie verfügt über das nötige technische Rüstzeug, um die teils horrend schwierigen Orgelwerke Guillous überhaupt bewältigen zu können, und über eine ebenso stupende wie für sich einnehmende Musikalität, durch die diese erste Folge ihrer Gesamteinspielung zu einem Ereignis wird. Guillous Diktum von der Musik als klingende Geste wird hier mit feuriger Energie und musikalischer Präzision umgesetzt, so etwa in der Fantasie op. 1, die Guillous Lehrer Marcel Dupré gewidmet ist. Das strukturell sehr klar aufgebaute Stück basiert auf zwei Themen, die vielfachen Wandlungen unterworfen sind, und die Ferjenčiková in all ihren Gegensätzen – wie auch im Hymnus op. 72 – sehr energisch und kontrastreich gegeneinander ausspielt. Ferner zu hören sind auf dieser CD Säya op. 50 und die Bearbeitung der Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky. Hier greift Guillou stärker als üblich in den Notentext ein, freilich nicht um es „besser“ zu machen, sondern um das Werk orgelgemäßer zu gestalten. Der kreative Umgang mit der Tradition, von jeher ein Anliegen Guillous, ist eben auch ein Weg um diese zu erhalten.
Nicht ein einziger langweiliger Takt
Ferjenčiková spielt dieses Zyklus mit großer Farbigkeit, bestechendem Timing und umwerfender Verve. Dabei nutzt sie vor allem die enormen klanglichen Ressourcen der Jann-Orgel in Dudelange mit beeindruckender Phantasie und ein unbestechliches Gespür für Klangfarben und dynamische Kontraste. Guillou, der auch Lyrik veröffentlicht hat und so epochale Instrumente wie in Notre-Dame des Neiges in l′Alpe d′Huez, der Tonhalle in Zürich oder im L′Auditorio de Tenerife auf Teneriffa konzipiert hat, beweist gerade mit dieser Bearbeitung, dass er zu den innovativsten Gestalten der Orgelwelt gehörte. Oder, wie es einmal der Organist Friedemann Winklhofer auf den Punkt gebracht hat: „Ich habe von Jean Guillou noch nie auch nur einen einzigen langweiligen Takt gehört.“ Und das lässt sich ohne Einschränkung auch von dieser Einspielung sagen, die hoffentlich bald fortgesetzt wird.
Guido Krawinkel [31.01.2020]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jean Guillou | ||
1 | Fantaisie op. 1 | 00:10:53 |
2 | Säya op. 50 (L' Oiseau bleu, Poème sur un air populaire coréen) | 00:11:03 |
3 | Hymnus op. 72 (in memoriam P. Jaap Reuten) | 00:07:50 |
Modest Mussorgsky | ||
4 | Pictures at an Exhibition | 00:42:22 |
Interpreten der Einspielung
- Zuzana Ferjenčiková (Orgel)