Tōnu Kōrvits
Hymns to the Northern Lights
Ondine ODE 1349-2
1 CD • 58min • 2015, 2018
24.03.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der estnische Komponist Tõnu Kõrvits (Jg. 1969) dürfte hierzulande allenfalls engagierten Vokalensembles durch seine 12-stimmige Vertonung des Sonnengesangs bekannt sein. Auf der neuen Ondine-CD Hymns to the Nordic Lights werden sechs Orchesterwerke – teils nur für Streicher – präsentiert, die alle ab 2007 entstanden sind. Kõrvits hat in den 1990ern als Neoromantiker begonnen; mittlerweile ist zumindest seine Orchestersprache elaborierter geworden. Auffallend ist jedoch, dass melodisch wie formal Liedhaftes zentrale Bedeutung in allen vorgestellten Stücken hat; auch spiegelt die Länge der Einzelsätze – kaum mal mehr als fünf Minuten – diese Tendenz wider.
Atmosphärische, aber nie seelenlose Naturschilderung
Die titelgebenden Hymns to the Nordic Lights, das einzige Werk für größeres Orchester, bestehen aus fünf kürzeren Sätzen, die den Komponisten als handwerklich äußerst originellen Orchestrierungskünstler ausweisen. Allen Instrumentengruppen verleiht Kõrvits beeindruckende Farbigkeit – besonders den fast allgegenwärtigen Streicherflageolets, die eine elektrisierende Kälte (Nordlichtplasma?) verströmen, ohne an den gehaltvollen Melodiewendungen im übrigen Apparat vorbeizugehen. Alles ist geschickt miteinander verwoben und trotz der Kürze der ersten vier Sätze gibt es klare Kontrastierungen, im etwas längeren fünften eine äußerst sinnliche wie erwartbare Steigerung. Das Ganze ist Naturschilderung und Reflexion der menschlichen Seele gleichermaßen – durchaus in nordischer Komponistentradition.
Einflüsse von Volks- und Rockmusik
Ebenfalls gelungen ist Silent Song, fast ein dreisätziges Konzert; allein wegen der selten solistisch eingesetzten Bassklarinette schon exquisit. Meelis Vind spielt virtuos, klangschön, dabei stets ausdrucksvoll, und man versteht so auch die unterschwelligen Bezüge zum Miles-Davis-Album In a Silent Way. Leider hört man überdeutlich fast sämtliche Klappengeräusche, hier ausnahmsweise mal nicht als Teil der Komposition intendiert – ansonsten ist die Aufnahmetechnik überzeugend. Tears Fantasy greift Kompositionsideen von John Dowland auf, Elegies of Thule auf estnische Volksmelodien zurück.
Elegische Streicher mit Weichzeichnung
Auch die beiden anderen Werke für reines Streichorchester, Azure und Leaving Capri sind elegischen Charakters. Kõrvits Faible für sich verzahnende, dauernd ineinander verschwimmende Streicherakkorde als Mittel extremer Weichzeichnung nutzt sich hierbei allerdings schnell ab und führt zu einer dann schon auf recht kurzer Distanz wirklich ermüdenden Langeweile. Das estnische Nationalorchester unter Leitung des jungen, einfühlsamen Dirigenten Risto Joost vermittelt diese Musik mit Ernst, technischer Präzision (Intonation!) und erkennbarer Spielfreude. An estnische Größen wie Erkki-Sven Tüür, Lepo Sumera oder Arvo Pärt reicht die Musik von Tõnu Kõrvits deshalb aber noch längst nicht heran, dazu wirkt vieles zu austauschbar und – zumindest auf den Rezensenten – streckenweise energiearm.
Martin Blaumeiser [24.03.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Tõnu Kõrvits | ||
1 | Azure | 00:02:46 |
2 | Hymns to the Nordic Lights | 00:13:11 |
7 | Silent Songs | 00:14:58 |
10 | Leaving Capri | 00:04:35 |
11 | Tears Fantasy | 00:07:37 |
12 | Elegies of Thule | 00:13:56 |
Interpreten der Einspielung
- Estonian National Symphony Orchestra (Orchester)
- Meelis Vind (Bassklarinette)
- Risto Joost (Dirigent)