Martinů • Bartók
Violin Concertos 1 & 2 • Solo Sonata
BIS 2457
1 CD/SACD stereo/surround • 75min • 2018, 2019
02.01.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die beiden Violinkonzerte Bohuslav Martinůs entstanden 1932-33 und1943 (dazwischen komponierte er zwei weitere substanzielle konzertante Werke für Violine und Orchester). Während das zu Beginn der US-Emigration komponierte Zweite Violinkonzert schnell seinen Weg machen konnte und seit damals zu Recht gefürchtet ist (wie bei den Cellokonzerten ist das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester insbesondere in den Ecksätzen oft sehr vertrackt), verschwand das für Samuel Dushkin geschriebene Erste Violinkonzert in der Versenkung, bevor es uraufgeführt worden wäre. 1946 wurde es offiziell für unvollendet und verschollen erklärt, und nachdem es 1968 vom höchst verdienstvollen Biographen Harry Halbreich entdeckt wurde, kam es 1973 in Chicago durch Josef Suk unter Georg Solti zur um mehr vierzig Jahre verspäteten, postumen Uraufführung.
Beide Werke sind substanzielle Gattungsbeiträge, und beide sind sehr virtuos und ausgesprochen heikel im Zusammenspiel. Eine wirklich befriedigende Einspielung dieser Konzerte hatte ich bislang noch nicht gehört, und entsprechend gespannt ging ich ans Hören, zumal mit dem Chefdirigenten Jakub Hrůša der zweifellos großartigste tschechische Dirigent unserer Zeit am Pult seiner Bamberger Symphoniker für das Ganze verantwortlich zeichnet.
Die große Referenzeinspielung
Nicht nur dass Hrůša uns hier eine geradezu ideale Aufführung dieser Konzerte in allen sechs Sätzen in ausgesprochen charakteristischer Erfassung und mit vollendeter Beherrschung aller Details schenkt, deren Realisierung dank der in Topform aufspielenden Bamberger einwandfrei ist – auch Frank Peter Zimmermann spielt hier sozusagen in der Form seines Lebens. Wenige dürften in der Lage sein, diese Musik so stringent über Stock und Stein zu treiben, ohne ins Straucheln zu geraten, ohne ab und zu ein wenig fünf gerade sein zu lassen, ohne offenkundig aufgrund technischer Hürden das eine und andere Rubato einzuschmuggeln. Aber hier findet Rubato nur aus musikalischen Gründen statt, und der unerbittliche Zug in den Ecksätzen sorgt mit dafür, dass sich Solist und Orchester in einer fulminant suggestiven Weise gegenseitig die Bälle zuspielen können, dass es eine wahre Wonne ist! Wie oft habe ich ein Martinů-Konzert gehört, wo ich mich fragte, was außer der nachprüfbaren rhythmischen Synchronizität hier wirklich verdiente, ‚Zusammenspiel‘ genannt zu werden – fast immer ist es, auch bei prominentesten Besetzungen, nichts weiter als mehr oder weniger gut koordiniertes ‚Nebeneinanderspiel‘. Aber hier ist man nicht nur extrem reaktionsschnell und innerlich einig über Ausdruck und Charakter, sondern es ist auch offenkundig, dass Orchester, Solist und Dirigent einander wirklich zuhören und Dirigent und Solist die Werke durch und durch kennen und gestalten. Eine grandiose Leistung, und ohne jeden Zweifel die große Referenzeinspielung, auf die wir lange gewartet haben.
Dass das Zweite vor dem Ersten Violinkonzert kommt, finde ich nicht glücklich, aber es macht auch nicht wirklich etwas aus.
Insektengleich
Zum Schluss spielt Frank Peter Zimmermann die nicht weniger horrend schwere Solosonate von Béla Bartók. Auch hier erweist er sich als ganz großer Meister des Geigenspiels und intensiv ausdrucksvoller Musiker. Vieles kann besser nicht gespielt werden. Auch tut es – wie schon bei Martinů – gut, dass seine grundsätzlich nüchterne und noble Spielhaltung diese existenzielle Angelegenheit niemals breiig, schmalzig, aber auch nicht unnötig grob und perkussiv werden lässt. Im berüchtigten Finale mit seinen Vierteltönen kann ich es kaum glauben, wie präzise Zimmermann in Höchstgeschwindigkeit alles artikuliert. Es klingt insektengleich, und nie klang es so faszinierend.
Makelloser Klang
Dass das Album so rundum gelungen ist, verdankt es natürlich auch der grandiosen Tontechnik. Bastian Schick zeichnete das Erste Konzert an einem Tag im Oktober 2018, Christian Jaeger das Zweite Konzert an zwei Tagen im Oktober 2019 im Joseph-Keilberth-Saal in Bamberg auf. Man hört quasi alles im Orchester, und der Solist – von dem man auch alles hört – ist dabei in einer sehr wohltuenden Weise zwar im Verhältnis kräftiger als in natura, aber eben doch viel weniger überpräsent in den Vordergrund gerückt als üblich in Violinkonzerten des 20. Jahrhunderts. Die Soloaufnahme entstand in der Berliner Siemens-Villa und wurde von Hans Kipfer aufgenommen und produziert. Ihre Makellosigkeit und hohe energetische Dichte ist frappierend. Ein solider Booklet-Essay von Michael Crump rundet das exzellente Erscheinungsbild ab.
Christoph Schlüren [02.01.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Bohuslav Martinů | ||
1 | Violinkonzert Nr. 2 H 293 | 00:26:42 |
4 | Violinkonzert Nr. 1 H 226 | 00:22:42 |
Béla Bartók | ||
7 | Sonate Sz 117 für Violine solo | 00:24:12 |
Interpreten der Einspielung
- Frank Peter Zimmermann (Violine)
- Bamberger Symphoniker (Orchester)
- Jakub Hrůša (Dirigent)