Helena Munktell
Violin Sonata • Dix Mélodies • Piano Trio

BIS 2204
1 CD/SACD stereo/surround • 74min • 2019
20.06.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Betrachtet man die chronologische Auflistung schwedischer Komponisten in der englischsprachigen Wikipedia, so stellt man fest, dass nur acht Komponisten der Jahrgänge 1840 bis 1860 gelistet sind, darunter aber nicht weniger als vier Komponistinnen. Eine von ihnen war Helena Munktell (1852–1919), Tochter eines Papierfabrikanten, die zunächst in Stockholm (u.a. bei Ludvig Norman und Joseph Dente), dann in Wien und schließlich in Paris (bei Godard und d’Indy) studierte. Nach einer CD mit Orchesterwerken (Sterling) mit Tobias Ringborg am Pult ist die vorliegende BIS-SACD das zweite Album, das vollständig Munktell gewidmet ist, und wiederum ist Ringborg (diesmal als Geiger) beteiligt.
Zwischen Schweden, Frankreich und Deutschland
Hauptwerk dieser CD ist Munktells ambitionierte Violinsonate Es-Dur op. 21, die 1905 publiziert wurde und von niemand Geringerem als George Enescu uraufgeführt wurde – ein üppiges, kraftvolles Werk in überwiegend hellen Farben, besonders gelungen wohl die ersten beiden Sätze. Im Vergleich zu manchen der Orchesterwerke spielt der nationalromantische Ton hier eine insgesamt geringere, eher punktuell (etwa im zweiten Thema des Kopfsatzes oder der Volkstanzepisode in der Mitte des Finales) wichtige Rolle. Auffällig ist insbesondere ein französischer Einschlag: wie im Beiheft bemerkt, ist der Einfluss von César Francks großer A-Dur-Sonate deutlich spürbar, nicht zuletzt in der zyklischen Gestaltung des Werks, in dem etwa das Hauptthema des Kopfsatzes eine zentrale Rolle spielt und mannigfaltig abgewandelt in allen vier Sätzen wiederkehrt.
Es liegt nahe, die Sonate mit anderen Violinsonaten aus dem Frankreich der Jahrhundertwende zu vergleichen, etwa von Munktells Lehrer d’Indy oder seinen Schülern und Freunden wie Lekeu, Magnard, Vierne oder Ropartz. In diesem Kontext wirkt Munktells Sonate traditioneller und deutlicher auch an deutschen Vorbildern orientiert (zumindest mittelbar von Schumann herkommend). Ähnlicher ist da schon die Sonate eines Komponisten der älteren Generation wie Théodore Dubois. Letztlich aber scheint der passendste Vergleich doch wieder ein Landsmann (und fast exakter) Zeitgenosse Munktells zu sein, nämlich Emil Sjögren, der nicht weniger als fünf Violinsonaten schrieb. Seine dritte Sonate entstand ebenfalls um die Jahrhundertwende und ist in einem ganz ähnlichen Spannungsfeld zwischen schwedischen, deutschen und französischen Einflüssen beheimatet.
Sanfte Melancholie und charmante Melodik
Als zweites Kammermusikwerk präsentiert die CD Munktells Kleines Trio, eine Art miniaturhafte Suite für Klaviertrio, vermutlich noch vor ihren Studien in Frankreich (ab 1877) entstanden. Ein überwiegend reizvolles, von charmanter Melodik getragenes Werk, das lediglich im Mittelteil des abschließenden Scherzos etwas nachlässt, vergleichbar mit den durch BIS ja umfassend dokumentierten Frühwerken Sibelius’, die nicht nur von einer ähnlichen musikalischen Prägung zeugen, sondern wohl auch für einen vergleichbaren Aufführungsrahmen (wie Haus und Salon) geschrieben wurden. Zentraler in Munktells Schaffen sind sicherlich die Dix Mélodies, zehn 1900 publizierte, über einen längeren Zeitraum entstandene Klavierlieder, in denen Munktell gekonnt kleine Stimmungsbilder von jeweils nur zwei bis drei Minuten Dauer entwirft, besonders apart in den lyrischen, oft sanft melancholischen Liedern.
Kultivierte Interpretationen
Die Interpretationen sind insgesamt sehr solide und kultiviert. In der einzigen, ebenfalls erst unlängst entstandenen Vergleichseinspielung der Violinsonate mit dem Duo Zilliacus / Forsberg (dB Productions) erfährt das Werk eine insgesamt etwas breitere, freiere Deutung, was die spätromantische Glut der Sonate stärker zur Geltung bringt als in der eher geradlinigen BIS-Einspielung. Sofie Asplund trägt die Lieder nuanciert und mit schlichter Schönheit vor. Die Klangqualität ist wie üblich bei BIS vorzüglich, dabei eher opulent als kammermusikalisch. Das Beiheft ist ausführlich und informativ, in der deutschen Übersetzung treten allerdings kleinere Ungenauigkeiten auf. Insgesamt eine schöne, hörenswerte Neuveröffentlichung.
Holger Sambale [20.06.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Helena Munktell | ||
1 | Sonate Es-Dur op. 21 für Violine und Klavier | 00:29:57 |
5 | Sérénade | 00:02:54 |
6 | Dans le lointain des bois | 00:02:25 |
7 | Ce qu'entendent les nuits | 00:02:09 |
8 | D'un berceau | 00:03:27 |
9 | Cantilène | 00:02:32 |
10 | Fascination | 00:02:09 |
11 | La dernière berceuse | 00:02:33 |
12 | Exil d'amour | 00:03:31 |
13 | Si tu le voulais | 00:02:06 |
14 | Fidélité | 00:02:38 |
15 | Kleines Trio für Violine, Violoncello und Klavier | 00:09:05 |
18 | 2. Satz Scherzo brusco Moderato energico aus Sonate Es-Dur op. 21 (Originalversion) | 00:06:05 |
Interpreten der Einspielung
- Sofie Asplund (Sopran)
- Tobias Ringborg (Violine)
- Kristina Winiarski (Violoncello)
- Peter Friis Johansson (Klavier)