Orgelpunkt
Trombone and Organ
MDG 951 2253-6
1 CD/SACD surround • 64min • 2021
30.03.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Dass Trompete und Orgel eine reizvolle Klangkombination ergeben, ist mittlerweile Allgemeingut. Aber Posaune und Orgel? Gibt es für diese Besetzung überhaupt Literatur? Nun, von den „großen“ Komponisten sicherlich nicht. Wenn man jedoch lang genug gräbt, stößt man auf den Nachlass des ersten deutschen Professors für Posaune, Paul Weschke (1867-1940), der sich in der Berliner Staatsbibliothek befindet und einige reizvolle Werke bietet. Hierbei handelt es sich um Kompositionen, die von Posaunisten für den Eigenbedarf geschrieben wurden, sich im Rahmen des romantischen Virtuosenstücks bewegen und teilweise fremdes Material spieltechnisch anspruchsvoll paraphrasieren.
Die Posaune, das Stiefkind der Komponisten
Das klassisch-romantische Repertoire für Posaunisten ist sehr dünn gesät. Dies liegt einerseits daran, dass sich noch bis ins späte 19. Jahrhundert die schlanke, sich mit Chorstimmen ideal mischende Renaissance-Form des Instruments mit eher kühlem Klangcharakter gehalten hatte, auf der nur für Ausnahmespieler fast die warme Kantabilität eines Horns zu erreichen war. Andererseits wussten die Komponisten seit Beethoven zwar, wie man Posaunen als speziellen Steigerungsakzent einsetzen konnte, waren in den Feinheiten der Spieltechnik jedoch zu wenig versiert. Im Gegensatz zu anderen Blasinstrumenten, bei denen Lippen-, Zungen- und Fingerkoordination gefragt sind, ist es bei der Posaune der ganze rechte Arm, der mit Zunge und Lippenspannung kombiniert werden muss. Die eingespielten Werke – von denen die meisten hier wohl seit langer Zeit erstmalig wieder erklingen – sind vorrangig in der Absicht verfasst, das gesangliche Potential dieses etwas sperrigen Instruments auszuloten, um es vom dräuenden Jericho/Tuba mirum-Image zu befreien. Dies umzusetzen, erfordert höchste Präzision, da sehr dicht artikuliert werden muss (portato-legato) und sich jeder Fehler in der Koordination in einem unfreiwilligen Glissando bemerkbar machen würde. Ergänzt werden die Solostücke durch Quartette für Alt, Tenor und 2 Bassposaunen, die jedoch nichts mit dem evangelisch-braven Posaunenchorrepertoire gemein haben, sondern wie in Arno Hansens Potpourri über Opernmelodien (hübsches Ratespiel in geselliger Runde) durchaus amüsant daherkommen.
Musikalität und Können
Juan Gonzáles Martinez bläst seine Solostücke mit ungemeiner Delikatesse, wunderbarem Timing in rezitativischen Passagen und der Fähigkeit, auf seinem Instrument zu singen. Das können Hornisten – von denen die Posaunisten gelegentlich Repertoire „borgen“ – auch nicht besser! Zudem lässt er die Musik aus sich selbst wirken und verzichtet auf zusätzliche emotionale Drücker. Grandios gelingt das Zusammenspiel mit seiner exzellenten Partnerin Lea Suter an der Orgel in Max Peters‘ hochdramatischer Elegie op. 9, die für beide Protagonisten gleich anspruchsvoll ist. Die von Frau Suter meisterhaft – auch hinsichtlich Registrierkunst und Farbigkeit – eingesetzte spätromantische Sauer-Orgel im Bremer Konzertsaal „Die Glocke“ rundet das Vergnügen ab. Für die Posaunenquartette zog Martinez seine Kollegen vom Franz Kuhn-Trombone Quartet hinzu. Dieses Quartett hat sich auf das Spiel historischer Posaunen spezialisiert und setzt hier Instrumente seines Namensgebers ein, die dieser um 1920 baute. Hierbei handelt es sich um Posaunen von mittlerer Mensur, die zwar weiter als die Instrumente des 16.-19. Jahrhunderts, jedoch wesentlich schlanker als moderne Instrumente konstruiert sind. Dies ist somit der Klang, der Gustav Mahler und Richard Strauss für ihre Werke vorschwebte.
Aufnahmetechnisch ist diese SADC absolut überzeugend. Der außerordentlich informative und detaillierte Booklet Text, der von den Interpreten selbst verfasst wurde, hätte – so es denn möglich gewesen wäre – einen Extra-Punkt verdient.
Fazit: Pflichtkauf für alle Bläser, Instrumentenkundler und Anlagentester. Ebenso für alle, die sich für eine gute Stunde in unbekannte romantische Klangwelten entführen lassen wollen. Zudem ein prima Osterei. Klare Empfehlung!
Thomas Baack [30.03.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Liszt | ||
1 | Cujus animam gementem (Aria aus Stabat mater von G. Rossini) | 00:05:16 |
Arno hansen | ||
2 | Quartett IV | 00:07:28 |
Richard Eckhold | ||
5 | Adagio | 00:05:23 |
Friedrich August Belcke | ||
6 | Fantasia über ein Motiv aus Der Ostermorgen von Sigismund Ritter von Neukomm | 00:05:39 |
Arno hansen | ||
7 | Opernmelodien (Großes Potpourri Nr. 2) | 00:11:33 |
Gustav Adolf Merkel | ||
8 | Arioso C-Dur op. 58 | 00:05:18 |
Max Reger | ||
9 | Romanze (bearb.) | 00:02:16 |
A[ugust] Hänsel | ||
10 | Recitativo e Adagio | 00:03:52 |
Friedrich August Belcke | ||
12 | Fantasia op. 58 | 00:06:15 |
Max Peters | ||
13 | Elegie op. 9 | 00:04:26 |
Paul Weschke | ||
14 | Marcia | 00:02:49 |
Interpreten der Einspielung
- Lea Suter (Orgel)
- Juan Gonzáles Martinez (Posaune)
- Franz Kuhn-Trombone Quartet (Posaunenquartett)