Glaube Krise Hoffnung
Voktett Hannover
Rondeau ROP6210
1 CD • 60min • 2020
13.04.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wenn Neue Musik auf Alte Musik trifft, wenn also, wie hier, Chormusik des 21. Jahrhunderts auf altklassische Vokalpolyphonie bzw. frühbarocke Chormusik trifft, kann zweierlei passieren: Entweder die Gegenüberstellung bzw. die In-Front-Stellung schlägt Interpretations-Funken – oder die eine Musik „frisst“ geradezu die andere, weil sie gewichtiger, inhaltsreicher ist. Hier bei der „Ergänzung“ der Missa Octo Vocum von Hans Leo Hassler durch fünf ganz moderne Chorwerke unterliegt Hasslers Musik: Aber nicht, weil sie an Wertinhalt verlöre, nein, weil der Chor, das fabelhaft singende Voktett Hannover, sich so in die moderne Musik verliebt hat, dass diese Art zu singen auf Hasslers Musik abfärbt, sie gleichförmiger macht, als sie ist. Die bei der Doppelchörigkeit auseinander stehenden Chöre sind beim Hören deutlich erkennbar, dafür hört sich der Chor bisweilen etwas von ferne her.
Orgel- und säulenhafter Chorklang
Der Chorklang des Voktetts ist ruhig, abgeklärt, orgelhaft-statisch, ja „säulenhaft“. Die äußerst sauber intonierten und in sich ausgehorchten Akkorde schweben schwerelos im Raum, die Dissonanzen sind tapfer durchgehalten, alles ist perfekt artikuliert, nichts trübt den schönen Klang, alles ist in einem strengen Ernst gehalten, wohl um die im Booklet philosophisch formulierte Absicht umzusetzen: Diese Zusammenstellung sei „sowohl textlich als auch musikalisch den großen zeitlosen Themen der Vergänglichkeit im Zeichen des Krisenhaften verpflichtet“.
Eindrucksvolle moderne Chormusik
Diese Absicht kommt vor allem den modernen Stücken zugute: Ein Zittern und Klagen und kunstvolles Schreien und am Ende entkräftet zusammenbrechende Musik bei Hear my prayer, O Lord von Henry Purcell / Sven-David Sandström; ergreifend-verzweifelnde und reflexive Vanitas-Klänge bei Prediger Salomo von Friederike Bernhardt; windumrauschter Naturgesang bei Åwåye Darun von Shadi Kassaee; irisierend-schweifende Klänge bei Letum non omnia finit von Alberto Arroyo; etwas plakativ in Szene gesetzte Worte bei Zeig mir dein Gesicht von Max-Lukas Hundelshausen, dafür mit Flüstern, Glissandi und Ariosität sehr wortausdeutend und philosophisch komponiert. Insgesamt eine eindrucksvolle Schau moderner Chormusik.
Mehr Überschwang und Jubelschwung
Der strenge Ernst, den die Sängerinnen und Sänger für die moderne Musik anwenden, ist bei Hassler nicht so recht am Platz. Da müsste meiner Meinung nach mehr barocker Überschwang her, mehr Jubelschwung, mehr Diesseitsfreude – um die „rauschenden Klangwolken“, von denen das Booklet spricht, auch wirklich rauschen und als Klangwogen vielleicht überschwappen lassen. Alles hört sich sehr kontrolliert an, als wollten die Sängerinnen und Sänger die Noten mit der Pinzette anfassen.
So müsste das Gloria mehr Jubelgesang sein und das Hosanna mehr als Dreiertakt wahrgenommen werden. Dafür schwebt schön mystisch mit mühelos erreichten Höhen das Et incarnatus est und endlich gibt’s am Ende beim Agnus Dei eine hochemotionale Steigerung.
Rainer W. Janka [13.04.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Henry Purcell | ||
1 | Hear my prayer, O Lord | 00:05:53 |
Hans Leo Hassler | ||
2 | Missa octo vocum, I. Kyrie | 00:04:26 |
Max-Lukas Hundelshausen | ||
3 | Zeig mir dein Gesicht | 00:11:06 |
Hans Leo Hassler | ||
4 | Missa octo vocum, II. Gloria | 00:03:57 |
Friederike Bernhardt | ||
5 | Prediger Salomo | 00:05:00 |
Hans Leo Hassler | ||
6 | Missa octo vocum, III. Credo | 00:07:06 |
Shadi Kassaee | ||
7 | Awåye Darun | 00:08:06 |
Hans Leo Hassler | ||
8 | Missa octo vocum, IV. Sanctus - Benedictus | 00:03:28 |
Alberto Arroyo | ||
9 | Letum non omnia finit (Quasi un madrigal) | 00:07:39 |
Hans Leo Hassler | ||
10 | Missa octo vocum, V. Agnus Dei | 00:03:25 |
Interpreten der Einspielung
- Voktett Hannover (Vokalensemble)