From Vienna to Hollywood
Fritz Kreisler | Erich Wolfgang Korngold
Ars Produktion 38 345
1 CD/SACD stereo/surround • 64min • 2021
20.04.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit der vorliegenden Einspielung gibt das Hegel-Quartett seine CD-Premiere, ein Ensemble, dessen Mitglieder aus den USA, Kanada und Australien stammen, im Rahmen ihres Studiums (unabhängig voneinander) nach Deutschland gekommen sind und hier mittlerweile schon lange leben und arbeiten, etwa als Orchestermusiker. Für ihr erstes Album haben die vier Musiker bewusst zwei Komponisten ausgewählt, die den umgekehrten Weg gegangen sind und aus Deutschland emigrieren mussten, nämlich Fritz Kreisler mit seinem einzigen Streichquartett sowie Erich Wolfgang Korngold, von dem das Hegel-Quartett sein Streichquartett Nr. 3 und drei Stücke aus der Schauspielmusik zu „Viel Lärm um nichts“ (in Korngolds eigener Bearbeitung) spielt.
Kreislers Charakterstücke im Kontext größerer Formen
Natürlich bilden Salonpiècen und kleinere Stücke im Stile älterer Meister den Schwerpunkt von Kreislers Schaffen, und insofern stellt sein wohl 1919 entstandenes Quartett in a-moll eine Ausnahme dar. Dennoch: obwohl es ein Werk in den üblichen vier Sätzen, ohne Suitencharakter und von einer eher ernsten Grundstimmung ausgeht, verleugnet es keineswegs den Komponisten der „Alt-Wiener Tanzweisen“. Ganz am Anfang steht zwar eine rezitativisch geprägte, angespannte Einleitung, aber das Hauptthema das ersten Satzes besitzt unzweifelhaft den Charakter eines (melancholisch gefärbten) Walzers. Und so schreibt Kreisler ein halbstündiges Quartett, das Melos und Idiom seiner kleinen Charakterstücke aufgreift, aber in einen größeren Zusammenhang stellt, wobei die große Form allerdings tendenziell eher aus einer Reihung von Episoden besteht.
Korngold meisterhaftes Drittes Streichquartett
Interessanterweise erfreut sich die Kombination von Quartetten Kreislers und Korngolds einer gewissen Beliebtheit; bereits das Angeles String Quartet und das Brodsky Quartet haben Kreisler mit Korngolds Nr. 3 bzw. Nr. 2 gekoppelt. Auf den ersten Blick erscheint diese Kombination sinnig, bei näherem Hinsehen allerdings überwiegen doch die Unterschiede: Kreislers Musik ist direkter und wahrscheinlich auch unmittelbarer eingängig, um seine Melodik herum zentriert, aber Korngolds Quartett, geschrieben gegen Endes des Zweiten Weltkriegs, ist hinsichtlich seiner Komplexität, seiner klanglichen und satztechnischen Raffinesse und der konzentrierten motivisch-thematischen Arbeit ein anderes Kaliber. Hier haben wir es mit einem echten Meisterwerk zu tun, dessen Herzstück sein langsamer Satz ist. „Like a folk tune“ überschrieben, geht es in der Tat von einem einfach gehaltenen, liedhaften Thema aus, auf Basis dessen sich dann aber ein tief empfundenes, trauererfülltes Adagio in es-moll entfaltet. Die anderen Sätze sind zwar kürzer und lichter gehalten, aber nicht weniger meisterhaft. Die drei Stücke aus „Viel Lärm um nichts“ runden das Programm auf beschwingt-reizvolle Weise ab.
Spannungsvolle, detailreiche Interpretationen
Das Hegel-Quartett liefert eine gut gearbeitete, detailreiche und spannungsvolle Neuinterpretation dieser Werke. Auch dem Wiener Idiom, dem Charme und Witz, der diese Musik immer wieder auszeichnet, trägt das Quartett Rechnung, obwohl der Schmelz, den Kreisler selbst in seinem Werk entfaltet (Aufnahme von 1935), nicht erreicht wird. Überhaupt versteht das Hegel-Quartett Kreislers Stück tendenziell dramatisch(er); gleich der Beginn wirkt bei ihnen ausgesprochen expressiv, agitiert. Dies birgt allerdings die Gefahr, dass die Balance des Satzes etwas in Schieflage gerät, denn das folgende Allegro ist sicher eher nostalgisch-wehmütig gehalten, und selbst am Beginn ist in der Partitur eigentlich vielmehr von „ritterlichem Pathos“ und „ungestüm“ die Rede. Auf hohem Niveau bewegt sich auch die Einspielung des Korngold-Quartetts, die sich zum Beispiel sehr gut mit der Aufnahme des Aron-Quartetts (cpo) messen kann; den sardonischen Witz des Scherzos etwa trifft das Hegel-Quartett gekonnt. Referenz bleibt bei Korngolds Quartetten freilich das Doric String Quartet (Chandos) mit einer von ganz selbstverständlichen Rubati, Portamenti und einer sehr speziellen Leggerezza gekennzeichneten Lesart. Insgesamt eine schöne Neuerscheinung mit leicht trockenem Klangbild. Etwas konfus (und auch stilistisch nicht überzeugend) kommt allerdings das Beiheft daher, das den Bogen von Kreislers Erfahrungen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs über Korngolds Emigration bis hin zu der Coronapandemie und den Lockdowns unserer Tage (über-)spannt (und „Viel Lärm um nichts“ fälschlicherweise als Filmmusik bezeichnet).
Holger Sambale [20.04.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Fritz Kreisler | ||
1 | Streichquartett a-Moll | 00:29:59 |
Erich Wolfgang Korngold | ||
5 | Streichquartett Nr. 3 op. 34 | 00:26:29 |
9 | Mädchen im Brautgemach (aus: Much ado about nothing op. 11) | 00:03:02 |
10 | Holzapfel und Schlehwein (aus: Much ado about nothing op. 11) | 00:02:34 |
11 | Mummenschanz (aus: Much ado about nothing op. 11) | 00:02:06 |
Interpreten der Einspielung
- Hegel Quartet (Streichquartett)