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Besprechung CD

Telemann grenzenlos

Bremer Barockorchester

arcantus arc 22032

1 CD • 71min • 2021

01.03.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Will man mehrheitlich bekannte Werke Georg Philipp Telemanns einspielen, muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, mag sich das Bremer Barockorchester gesagt haben. So kommt die Hamburger Ebb‘ und Fluth zu einer Windmaschine und Pauken. Folkloristische Anleihen werden durch riesige Rubati verdeutlicht, die live die Spannung steigern, aber auf CD vielleicht etwas „over the top“ sein mögen. Geschmackssache. Brillant und gekonnt musiziert wird jedoch auf jeden Fall.

Telemann, der Hanseat

Telemann setzte seiner letzten Wirkungsstätte mehrere ironisch-liebevolle Denkmäler in Form programmatischer Ouvertüren-Suiten. Da gibt es die anakreontische Alster-Ouvertüre, La Bourse, für St. Pauli La Putainei und eben auch die Wassermusik über die Gezeiten an der Elbe Auen. Auch Les Nations dürfen in einer Hafenstadt natürlich nicht fehlen. Hier wählten die Bremer die B-Dur-Suite TWV 55:B5 und nicht die identisch bezeichnete in G-Dur TWV 55:G4. Zwischen den beiden Ouvertüren findet sich das wundervolle Doppelkonzert für Blockflöte und Viola da Gamba in a-moll TWV 52:a1. Kulturwissenschaftler werden wahrscheinlich bald herausfinden, dass die Porträts der Nationen durchaus einen spöttischen Charakter haben und daraus frühen „teutschen“ Nationalismus konstruieren. Dabei kommen die Türken und die Moskowiter besonders schlecht weg, harmonisch betont monoton und melodisch eher unergiebig. Interessant, dass die Russen durch ein Carillon charakterisiert werden. Wer wollte da nicht an die „Szene mit dem Glockenspiel“ in Mussorgskys Boris denken. Dass sich die „Hinkenden“ und die „Rennenden“ dort am Schluss breitmachen, unterstreicht den parodistischen Charakter. Mögliches Vorbild mag hier François Couperins „Mxnxstrxndxsx“-Zyklus im 3. Band der Pièces de Clavecin gewesen sein (Couperin ersetzte im Wort „Menestrandise“ = Spielleutezunft die Vokale durch „x“). 

Originelle Interpretation

Das Bremer Barockorchester ist spieltechnisch über jeden Zweifel erhaben und musiziert mit großer Spielfreude und Präzision. Das ist hinsichtlich Artikulation, Phrasierung und Ornamentik vorbildlich!

Doch erscheinen einige Entscheidungen zwar sinnfällig, können aber durchaus auch als willkürlich angesehen werden: Ob man die „schlafende Thetis“ durch mehrfache Wiederholung des A-Teils aus dem Halbkoma wecken muss? Ob man die Streicher zu Beginn des „verliebten Neptunus“ einfach mal weglässt? Ob die „spielenden Najaden“ ihre Gavotte wirklich langsam beginnen und dann beschleunigen? Dasselbe ist im slavisch getönten Finale des Doppelkonzerts ebenso fraglich, demonstriert allerdings ein unglaublich genaues Aufeinander-Hören des gesamten Ensembles. Das ist wahrlich virtuos. Witzig zudem den „stürmenden Aeolus“ mit Pauken und Windmaschine zur Sturmflut aufzurüsten.

Star-Qualitäten beweist Blockflötistin Anninka Fohgrub mit einem klanglich und agogisch superben Doppelkonzert – worin ihr Lina Marrique an der Gambe keinesfalls nachsteht – und höchst eleganten Verzierungen in der „Wassermusik“. Sehr witzig, ihr Zitat der „Air à la italien“ aus der Solo-Suite in a-moll in der Kadenz. Warum man in den Nations die Bläser nicht zur Doppelung der Violinen heranzog, erschließt sich mir hingegen nicht, da es durchaus der zeitgenössischen Aufführungspraxis und auch Telemanns Empfehlungen in seinen Kantatendrucken entspräche.

Das Booklet ist informativ, jedoch durch die Kästchen etwas unübersichtlich. Aufnahmetechnisch ist nichts zu beanstanden.

Fazit: Telemann mit frischem Zugriff. Intelligent, weitgehend stilvoll, wenngleich recht mutig interpretiert. Meine Bedenken habe ich geäußert und gebe eine eingeschränkte Empfehlung. Ach was, es macht Spaß, also doch glatt empfohlen.

Thomas Baack [01.03.2023]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Philipp Telemann
1Hamburger Ebb und Flut C-Dur TWV 55:C3 00:26:51
11Concerto a-Moll TWV 52:a1 für Blockflöte, Viola da gamba, Streicher und B.c. 00:18:20
15Ouverture B-Dur TWV 55:B5 für Streicher und B.c. (Les Nations) 00:25:36

Interpreten der Einspielung

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