Quintessence
Bruckner • Schwarz-Schilling • Mendelssohn Bartholdy
Symphonia Momentum • Christoph Schlüren
Aldilà Records ARCD 017
1 CD • 80min • 2021
23.03.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Es ist mittlerweile fast 15 Jahre her, dass der Dirigent Christoph Schlüren die Symphonia Momentum gründete, ein (knapp) 20-köpfiges Streichorchester, und als diskographisches Ergebnis der damaligen Konzerte liegt eine eindrucksvolle, bei Aldilà Records erschienene CD rund um eine Streichorchesterfassung von Reinhard Schwarz-Schillings großartigem Streichquartett vor. Gut zehn Jahre später kam das Orchester (in veränderter Besetzung) Ende August 2021 im fränkischen Lehrberg erneut zusammen, und auch dieses Programm ist nun bei Aldilà Records veröffentlicht worden. Der Titel „Quintessence“ gestaltet sich dabei als ein Fingerzeig auf eine Besonderheit der Besetzung, deren Fünfstimmigkeit sich aus zwei Bratschenstimmen ergibt.
Herausragende Realisierung polyphoner Strukturen
In der Streichorchesterliteratur sind doppelte Bratschen natürlich eine Seltenheit und wohl beinahe ein Alleinstellungsmerkmal von Mendelssohns späteren Streichersinfonien, mit deren letzter (in der Regel cum grano salis als Nr. 13 bezeichnet) das Programm auch beginnt. Bei diesem Werk, 1823 entstanden, handelt es sich eigentlich um einen einzelnen Sinfonie-Satz mit langsamer Einleitung und stark kontrapunktisch geprägtem Allegro. Schlüren und sein Orchester realisieren (mit lediglich sehr sparsam eingesetztem Vibrato) die polyphonen Strukturen in herausragender Weise: hier greifen alle Stimmen völlig organisch ineinander, treten wohldurchdacht miteinander in Interaktion, sorgfältig abgestuft gemäß ihrer jeweiligen Bedeutung im kontrapunktischen Geschehen. Die musikalischen Linien werden exemplarisch dargestellt, Spannung kreiert, indem insbesondere auch die Harmonik der Musik sehr überlegt nachvollzogen wird. So wird die Dramaturgie der Musik mit bemerkenswerter Zwangsläufigkeit realisiert, ohne dass die Darbietung je forciert oder inszeniert wirken würde: all dies folgt ganz natürlich aus der bewussten Durchdringung der Partitur.
Schwarz-Schillings „Bitten“ als Scharnierwerk
Der Name Schlüren steht immer auch für reflektierte Programmgestaltung abseits von Schemata und Etabliertem, und so folgt auf Mendelssohn eine Bearbeitung des Bitten überschriebenen Schlussteils der Motette Über die Schwelle op. 76 (1975) von Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985); das Arrangement stammt aus der Feder von Lucian Beschiu. Vier von eindringlicher Introspektion geprägte Minuten, nicht zuletzt inspiriert durch Musik der Renaissance, die hier als eine Art Scharnier zwischen den beiden Eckpunkten des Programms fungieren. In der Tat: nach dem c-moll-Schluss von Mendelssohns Sinfoniesatz schließt sich der Anfangston C von Bitten ganz organisch an, und wenn über D die Durterz erreicht wird, ergibt dies einen ganz wunderbaren Moment der Wärme und Entspannung. Der Klang des Streichorchesters beschwört in seiner Sanglichkeit und Homogenität sehr stimmig die originale Chorbesetzung herauf, und verklingt nach einem vorzüglich nachvollzogenen Höhepunkt die Musik schließlich in ruhiger Andacht im Gefilde von d-moll, so bereitet dies gleichzeitig die Tonalität des letzten Stücks auf der CD vor.
Intensiv ausgelotete Bruckner-Darbietung mit langem Atem
Hierbei handelt es sich um Bruckners Streichquintett F-Dur (1878/79), von Schlüren für Streichorchester gesetzt, was – angesichts der in mancher Hinsicht orchestralen Faktur des Originals nicht überraschend – perfekt funktioniert und also eine zweite, nun sehr ausgedehnte Streichersinfonie ergibt. Schlüren wählt (auch, aber sicher nicht nur) angesichts der Akustik des Konzertsaals sehr breite Tempi, sodass das gesamte Werk mehr als 60 Minuten in Anspruch nimmt. Gleichzeitig schafft er es, das Quintett mit einem stupenden Sinn für große Zusammenhänge, für den „sinfonischen“ Atem dieser Musik darzustellen. Man beachte nur, wie etwa im langsamen dritten Satz die Binnenspannung niemals nachlässt, wie Harmonik und Modulationen sehr bewusst ausgekostet werden, sodass der natürliche Fluss der Musik aufs Gelungenste nachvollzogen wird. Dies geht einher mit einer skrupulösen, in vielen Details sehr exakten und hoch differenzierten Umsetzung der Partitur. Eindrucksvoll, wie sorgfältig und fein nuanciert Bruckners Anweisungen wie „(sehr / etwas / sanft) hervortretend“ umgesetzt werden, wie viel Wert auf präzise Artikulation gelegt wird, wie anmutig aber auch manche der folkloristisch angehauchten Passagen im Kopfsatz (mit wunderbar leichter, duftiger Pizzicato-Grundierung) oder im Finale gelingen. Eine erstklassige Darbietung, die diese Musik sehr ernst nimmt, niemals auf unmittelbaren Effekt ausgelegt ist und gerade so letztendlich eine enorm intensive Wirkung erzielt.
Eine mustergültige Produktion
Den extrem informativen, Besetzung, Programm und die einzelnen Werke ausführlich erläuternden Begleittext hat Schlüren selbst verfasst; ein ausgesprochen erfreulicher, für Schlüren typischer Nebenaspekt sind dabei die detaillierten Überblicke über Repertoire und Besetzungsspezifika weit über die bekannteren Namen hinaus. Eine in jeder Hinsicht mustergültige Produktion!
Holger Sambale [23.03.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
1 | Streichersinfonie Nr. 13 c-Moll für Streichorchester – Grave- Allegro molto | 00:08:11 |
Reinhard Schwarz-Schilling | ||
2 | Bitten (aus: Über die Schwelle - transkr.: Lucian Beschin) | 00:04:06 |
Anton Bruckner | ||
3 | Streichquintett F-Dur (arr. für Streichorchester: Christoph Schlüren) | 01:02:31 |
Interpreten der Einspielung
- Symphonia Momentum (Orchester)
- Christoph Schlüren (Dirigent)