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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Ludwig van Beethoven

Piano Sonatas Vol. 2

MDG 947 2306-6

1 CD/SACD stereo/surround • 70min • 2022

06.03.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

„Die Hammerklaviersonate lehrt, was Größe ist.“, konstatierte Joachim Kaiser in seinem Buch „Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten“. Und wer sie beherrscht, dem ist Größe zuzusprechen – wie der chinesischen Pianistin Jin Ju, die hier Folge zwei der geplanten Gesamtaufnahmen aller Beethoven-Sonaten vorlegt. „Wer kann das spielen?“, fragt Kaiser weiter über den hammerschweren Finalsatz der Hammerklaviersonate. Nun, Jin Ju kann’s. Und das absolut sicher, im Vollbesitz ihrer stupenden Technik, dabei klar und sogar transparent, ohne zu „schmieren“ oder sich durchzumogeln, wie es sogar Großmeister der Klavierkunst getan haben, ja ohne je eins der übervielen Sforzati zu vergessen, wie das Mitlesen beweist.

Das Fugenthema beginnt sie mit beherztem Schwung – vielleicht nicht mit dem letzten Rest des vorgeschriebenen „risoluto“, wird nicht entfesselt-rasend, sondern bleibt sehr kontrolliert: schon das ist bewundernswert. Die Anfangs-B-Dur-Akkorde des Kopfsatzes bringt sie fast überfallartig mit Schmetter-Effekt und hat diesen Riesensonatensatz buchstäblich voll im Griff bei klarer Disposition und in einer überzeugenden Balance zwischen Riesen-Energie und Riesen-Bremskraft. Gelungen ist „der dramatischste Augenblick, den Beethoven je dem Solo-Klavier überantwortet hat“ (so wieder Joachim Kaiser), der Übergang am Ende der Durchführung zum „cantabile“ (Takt 201).

Betörend strahlender Diskant

Sehr exakt nimmt Jin Ju das wilde und ernste Scherzo – vielleicht könnte man es sich noch eine Spur wilder, kantiger und widerborstiger vorstellen. Das Allerheiligste dieser Sonate ist das Adagio: Verhangen, sinnend, ja tiefsinnig beginnt die Pianistin, nimmt dabei das „Appassionato“ in der Satzbezeichnung wichtiger als das „e con molto sentimento“, zelebriert hier nicht unbedingt weihevolle Feierlichkeit, bleibt mit 19:24 auch in maßvoller Mitte zwischen möglichen extremen Längen: Friedrich Gulda schafft diesen Satz in 13:42, Brendel braucht 16:47 und Michael Korstick (mein heimlicher Favorit) gar 28:42. Jin Jun hält die Spannung bis zum letzten abebbenden Arpeggio und realisiert vorher aufs Schönste die in sich bebenden musikalischen Lichtbrechungen, dabei eine ihrer klanglichen Haupttugenden zeigend: einen betörend strahlenden Diskant.

Blitzende Entschlossenheit

Damit sind wir bei Jus Tongebung: Neben dieser leuchtenden Höhe gefällt die stählerne, aber auch warme Kraft der Tiefe, ihre Linke scheint mehr Muskeln als normale Menschen zu haben, was den Bass-Trillern im Finale der Hammerklaviersonate zugutekommt. Dazu kommt eine geradezu blitzende Entschlossenheit im Zugriff. All dies wird außerordentlich gut unterstützt durch die Tonregie: Der Klang des Steinway-Flügels ist in allen Bereichen natürlich abgebildet, der Raum, das Konzerthaus Abtei Marienmünster, das vielen Aufnahmen des Labels MDG gold als Aufnahmeraum dient, spielt unaufdringlich, aber wirkungsvoll mit.

Manchmal möchte man, dass Jin Ju ihre Beherrschtheit ein bisschen verliert, anders gesagt: dass sie nicht immer so toll spielt, wie sie kann. So realisiert sie im Kopfsatz der A-Dur-Sonate op. 101 weniger das glühende Drängen in den zahlreichen Synkopen, so dass daraus mehr ein frei schwebendes Singen wird – auch schön, aber vielleicht eben nicht „mit der innigsten Empfindung“, wie Beethoven hier vorschreibt. Und nicht vielleicht heftig, nicht phantastisch-wüst genug marschiert der zweite marschmäßige Satz – und dann überrascht wieder ein überirdisch schöner Diskant-Triller (Takt 18). Das Einleitungs-Adagio des Finalsatzes spielt Jin Jun gewiss „schön“ und klar und mit berückenden Klangwirkungen – aber nicht geheimnisumwittert genug, und im Takt 19 dieses Satzes mit der Bezeichnung „non presto“ rhapsodiert die Pianistin etwas zu eilig. Doch dann herrscht wieder geschwinde Entschlossenheit und klare Struktur, so dass man hört, wie die fallende Terz zum Strukturmerkmal wird.

Alles in allem und bei allen – vielleicht auch subjektiven Mäkeleien – ist es eine Aufnahme, deren Gewalt und Schönheit lange im Kopf des Rezensenten weitertönen.

Rainer W. Janka [06.03.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ludwig van Beethoven
1Klaviersonate Nr. 28 A-Dur op. 101 00:21:31
4Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 (Hammerklaviersonate) 00:48:19

Interpreten der Einspielung

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