Haydn
Symphonies
Heidelberger Sinfoniker • Johannes Klumpp

hänssler CLASSIC HC24039
4 CD • 4h 44min • 2022, 2023
12.10.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Mit dieser vier CDs umfassenden Box ist das Projekt der Heidelberger Sinfoniker beendet, alle Haydn-Sinfonien einzuspielen. Begonnen haben die Heidelberger mit dem Dirigenten Thomas Fey, geendet mit Johannes Klumpp. Am besten liest man erst das von Klumpp verfasste Booklet. Denn keiner kann so herzlich nichtwissenschaftlich und doch so feinsinnig-gelehrt und damit so appetitanregend über Haydn-Sinfonien reden bzw. schreiben wie eben Johannes Klumpp. Bei ihm verbrüdern sich in Haydns Sinfonien „Geist und Radau“, bei ihm hat eine langsame Einleitung „Dramatik, Nervosität und Bitte, bei ihm „peitschen Synkopen uns auf“, bahnen sich „wie auf Zehenspitzen die Geigen ihren Weg“, da kribbelt Haydns Musik von innen, ein Satz bewegt sich tänzelnd und pfeifend durch die Straßen oder da hat ein Menuett „einen durchgestreckten Rücken“, da vermischen sich in einem Satz „jüngstes Gericht und Walzer in einer frivolen Mischung“, da bescheinigt er Haydns Musik „unglaublichen Groove, gehörigen Pfeffer“.
Enorme Spielfreude
Diesen Groove und diesen Pfeffer hört man in fast jeder der hier eingespielten Sinfonien. Immer herrscht in den Außensätzen moussierendes Tempo, enorme Spielfreude, gestisches Musizieren, gespannteste Elastizität und federnde Eleganz. In den langsamen Sätzen singen oftmals die Geigen nicht nur, sondern sprechen, denken nach oder zweifeln. Mit vergnüglichem Schmunzeln servieren die Musiker die „zu starken“ Auftakte in einem Menuett (CD 1, Track 3). Wenn „scherzando“ dasteht, sieht und hört man die Musiker schmunzeln – so wie der Rezensent beim Zuhören. Mit Klumpp steht Haydns Musik hier ständig unter Strom – manchmal ein bisschen zu sehr, so dass das tanzende Fagott in einem Menuett (CD 2 Track 3) zu wenig großväterlich-behäbig tanzt. Dafür hat Klumpp recht, wenn er in Finale derselben Sinfonie Nr. 62 (CD 2, Track 4) schon eine Beethoven-Atmosphäre vorausahnt.
Spitzbübische Bläserauftakte
Klumpp liebt bedingungslos jede der Haydn-Sinfonien und widerspricht damit vehement zum Beispiel Michael Walter, der in seiner Monografie über Haydns Sinfonien („Haydns Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer“, in der Reihe C.H. Beck Wissen) einigen der Sinfonien Farblosigkeit und Fehlen origineller Einfälle zuschreibt, vor allem den Nr. 63, 62 und 71. Gerade in der Sinfonie Nr. 71 „verunsichern uns unbestimmte harmonische Flächen“ (Klumpp), entzücken spitzbübische Bläserauftakte und dramatisch zugespitzte Geigenanfänge, da moduliert Haydn im Finalsatz vom entferntesten Des-Dur über ges-Moll zum ursprünglichen B-Dur – und man hört es!
Allenthalben herrliche Adagios
Immer geschickt sind die Streicher und die Bläser entweder gegeneinander ausgespielt oder klangsteigernd fusioniert. Die Tonregie unterstützt dies auch durch Trennschärfe und Durchhörgenauigkeit und durch ein insgesamt sehr natürlich klingendes Hörbild. Zum Beispiel beginnen im Adagio (wie herrlich ist doch fast jedes Adagio hier!) der Sinfonie Nr. 76 (CD 2, Track 10) die Geigen sinnierend, um dann ins schlichte Singen zu kommen, bis die Bläser dann zusammen mit den Streichern einen b-Moll-Teppich legen. Im Finale verschärft die sonst nur hübsch-banale Geigenmelodie mit den schmückenden und damit hebenden 32-tel-Vorschlägen. Michael Walter (S. 78) formuliert dazu: „Haydn findet in dieser Sinfonie zur endgültigen Ausformulierung eines in den leichten Sinfonien bereits angesteuerten Tonfalls, dessen Leichtigkeit die Musik einerseits unmittelbar verständlich wirken lässt, der aber andrerseits durch ein genaues und raffiniertes, manchmal minimalistisches Kalkül erreicht wird, das jeder Trivialität vorbeugt.“ Kutz gefasst: eine raffinierte Leichtigkeit, die nie trivial wird. „Komplexität im Gewand der Einfachheit“ nennt Klumpp es.
Spiel mit der Moll-Farbe
Mit den letzten beiden Volumes geht’s ins Moll – das – wieder laut Michael Walter – „eher der Hinzufügung eines harmonischen Farbe“ dient, „die das Ernsthafte, das Konflikthafte ins Spiel bringt und Raum gibt für kontrapunktische Arbeit, jedoch ohne düstere Affektbasis.“ Auch wenn selbst das Menuett der Sinfonie Nr. 78 kurz ebenfalls ins titelgebende c-Moll rutscht: Es ist nur ein Spiel mit Farben. Das merkt man dann in der Sinfonie Nr. 80, in der die Erhabenheit des d-Moll plötzlich gemischt wird mit einem im Vergleich fast primitiven Landler und in dessen Menuett, das ebenfalls in d-Moll steht, das Naturhorn eine engräumige, nicht weniger als acht Viertel auf einem Ton verharrende Melodie spielt, die eine düster-verhangene Atmosphäre produziert. Aber wir sind in einem Menuett: Alles ist ein Spiel – so wie im Finale derselben Symphonie Haydn mit Synkopen nur so herumfetzt: rhythmisch eben groovig und pfeffrig.
Gewiss hat auch die Gesamtaufnahme aller Haydn-Sinfonien mit dem Austro-Hungarian Haydn Orchestra unter Adam Fischer ihre Meriten (Brilliant als Lizenz von Nimbus UK, 1987-2001), vor allem den Aspekt der historischen Aufnahmestätte im Eszterházy-Palast, gewiss unterscheiden sich die gewählten Tempi nur wenig – aber die Heidelberger spielen frischer, dringlicher, fröhlicher, ja fetziger, gewitzter. Und deswegen ziehe ich diese Aufnahme vor, höre im Ernstfall natürlich beide.
Rainer W. Janka [12.10.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | Sinfonie Nr. 66 B-Dur Hob. I:66 | 00:26:20 |
5 | Sinfonie Nr. 71 B-Dur Hob. I:71 | 00:31:11 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonie Nr. 62 D-Dur Hob. I:62 | 00:25:55 |
5 | Sinfonie Nr. 74 Es-Dur Hob. I:74 | 00:23:56 |
9 | Sinfonie Nr. 76 Es-Dur Hob. I:76 | 00:25:24 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sinfonie Nr. 77 B-Dur Hob. I:77 | 00:22:38 |
5 | Sinfonie Nr. 78 c-Moll Hob. I:78 | 00:23:15 |
9 | Sinfonie Nr. 81 G-Dur Hob. I:81 | 00:26:16 |
CD/SACD 4 | ||
1 | Sinfonie Nr. 80 d-Moll Hob. I:80 | 00:25:44 |
5 | Sinfonie Nr. 79 F-Dur Hob. I:79 | 00:23:16 |
9 | Sinfonie Nr. 91 Es-Dur Hob. I:91 | 00:28:49 |
Interpreten der Einspielung
- Heidelberger Sinfoniker (Orchester)
- Johannes Klumpp * 1980 (Dirigent)