Ofra Yitzhaki
plays Bardanashvili
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TYXart TXA23182
1 CD • 83min • 2022
12.11.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Komponist Josef Bardanashvili (Jg. 1948), bewegt sich geographisch und musikalisch zwischen zwei Ländern, nämlich Georgien, dem Land seiner Geburt, seiner musikalischen Ausbildung und seiner ersten Erfolge als Komponist, und Israel, seiner neuen Heimat seit 1995. Beide Länder und Kulturen haben ihre Spuren in seiner Musik hinterlassen, von der im Laufe der Jahrzehnte dies und jenes auf CD erschienen und von recht prominenten Musikern aufgeführt worden ist, ohne dass von einer systematischen Werkschau die Rede sein könnte (so ist bislang keine seiner Sinfonien, Opern oder seiner Ballette auf Tonträger erhältlich). Die israelische Pianistin Ofra Yitzhaki widmet sich nun seinem (bisherigen) Gesamtwerk für Klavier, das eine mit fast 83 Minuten prall gefüllte CD ergibt.
Polystilistik zwischen Klage und Ausbruch
Wenigstens annäherungsweise sind die Werke auf dem Album chronologisch angeordnet, allerdings mit zwei Ausnahmen. Eine davon, die Fantasie aus dem Jahre 2004, steht gleich am Anfang, womöglich gerade deshalb, weil sich an diesem Werk (das im Übrigen auch eines von Bardanashvilis populärsten Stücken zu sein scheint) viele der grundsätzlichen Charakteristika seiner Tonsprache exemplarisch aufzeigen lassen. Bardanashvili nennt unter anderem Schnittke und Kantscheli als Bezugspunkte seines Schaffens, und tatsächlich: zum einen ist seine Musik dezidiert polystilistisch angelegt, im Falle der Fantasie etwa in Form von Einflüssen jüdischer und georgischer Folklore, teilweise mit einer chopinesken Aura versehen, aber auch einer Art Tangogeste. Eine gewisse Disparität des Materials ist also Prinzip und wird oft genug entsprechend betont, durch scharfe Kontraste verstärkt. Dabei geht die Musik in der Regel von einem Gestus der Klage aus, wirkt meditativ-verinnerlicht. Meist modal oder freitonal gehalten, bevorzugt Bardanashvili Moll-Regionen, arbeitet oft mit einem sparsamen Klaviersatz bis hin zur Stille. Dem stehen heftige, geradezu brutale Ausbrüche (speziell in der Mitte des Stücks) gegenüber, die das Grundmaterial der Komposition fast zerstäuben, bevor am Ende sein Beginn wieder aufgegriffen wird (das letzte Wort behält jedoch, fast trotzig herausgeschrien, die Tangogeste).
Parallelen über 50 Jahre hinweg
Insgesamt enthält die CD sieben Werke, die einen Zeitraum von nahezu 50 Jahren umfassen. Natürlich lassen sich dabei gewisse Unterschiede feststellen; so ist die Klaviersonate Nr. 1 (1974) sicherlich das tonalitätsfernste Werk, während die Eckteile des Cantus graduum (2022) in wohlklingenden Dezimparallelen gehalten sind. Nichtsdestoweniger überwiegt der Eindruck eines Komponisten, der sich über die Jahrzehnte in wesentlichen Belangen treu geblieben ist. Mit jüdischer Folklore hat sich Bardanashvili bereits lange vor seiner Emigration auseinandergesetzt, hier repräsentiert durch die Vier kurzen Stücken auf jüdische Volkslieder (1975), bei denen es sich um das wohl am unmittelbarsten zugängige, eingängigste Werk dieser CD handelt. Sehr hübsch, wie Bardanashvili die Volksmelodien mit sparsamen Mitteln, dabei durchaus abwechslungs- und einfallsreich präsentiert und kommentiert; kongenial umgesetzt durch Yitzhakis kantables, melodieorientiertes, expressives Spiel. Nicht unähnlich sind die Fünf Theater- und Filmskizzen (2020) gehalten, Arrangements aus früheren Partituren ähnlich wie Kantschelis Simple Music, wobei sich Bardanashvili im Vergleich zu den Stücken auf jüdische Volkslieder hier stärker an Popularmusik aller Arten orientiert.
Authentische Interpretationen
Ähnlich wie in der Fantasie kommt es in allen fünf größer angelegten Werken (häufig in der Mitte, wie Bardanashvili seine Stücke überhaupt gerne näherungsweise bogenförmig anlegt) zu erheblichen Klangmassierungen, etwa durch gong- oder glockenartige Schläge in tiefen Regionen oder aufschreiende, aufbegehrende Gesten in den hohen Lagen. Jüdische, gebetsartige Intonationen spielen fast immer eine wichtige Rolle, in Sachen Polystilistik ist gerade der Kopfsatz der Klaviersonate Nr. 2 (1984) mit seinen quasi-barocken Figuren, im Manuskript nicht umsonst „Solfeggio“ überschrieben, zu nennen; die Parallelen zu Mahler, die Yitzhaki im zweiten Satz sieht (der gleichzeitig das Finale darstellt), würde ich zwar nicht zwangsläufig unterschreiben, aber ein gewisser postromantisch-expressionistischer Gestus wird hier sicherlich beschworen. Dabei sucht Bardanashvili zumeist eher das Innehalten, Stocken, nicht so sehr den Fluss der Musik, was speziell dann, wenn man die CD im Ganzen hört, ab einem gewissen Zeitpunkt eine leichte Abnutzungsgefahr mit sich bringt. Nichtsdestoweniger eine begrüßenswerte Neuveröffentlichung, vorzüglich und sehr authentisch interpretiert von einer mit den Charakteristika und Eigenheiten dieser Musik bestens vertrauten Pianistin.
Holger Sambale [12.11.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Josef Bardanashvili | ||
1 | Fantasia | 00:08:12 |
2 | Klaviersonate Nr. 1 | 00:17:15 |
5 | Ashrei ha'Am (aus Four Short Pieces on Jewish Folksongs) | 00:01:22 |
6 | Ashira (aus Four Short Pieces on Jewish Folksongs) | 00:00:54 |
7 | Haftara (aus Four Short Pieces on Jewish Folksongs) | 00:02:03 |
8 | Shir (aus Four Short Pieces on Jewish Folksongs) | 00:02:17 |
9 | Klaviersonate Nr. 2 | 00:16:36 |
11 | Agape (Skizze zu dem Theaterstück von Hanoch Levin) | 00:04:19 |
12 | It All Begins at Sea (Skizze zum Film von Eitan Green) | 00:02:40 |
13 | Snow in May (Skizze zum Film von Zurab Inaishvili) | 00:01:38 |
14 | Ghetto (Skizze zum Theaterstück von Joshua Sobol) | 00:01:41 |
15 | The Dragon (Skizze zum Theaterstück von Evgeny Schwartz) | 00:02:33 |
16 | Postlude | 00:10:27 |
17 | Canticum Graduum (Song of Ascent) | 00:10:35 |
Interpreten der Einspielung
- Ofra Yitzhaki (Klavier)