Camille Saint-Saëns
Complete Concertos
Leia Zhu

Berlin Classics 0303539BC
1 CD • 61min • 2023
19.04.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die vorliegende Neuerscheinung markiert den Beginn eines Projekts der Züricher Orpheum Stiftung zur Förderung junger Solisten: auf sieben CDs sollen sämtliche Werke für Soloinstrumente und Orchester von Camille Saint-Saëns (1835–1921) eingespielt werden. Ein Fixpunkt wird dabei das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Howard Griffiths sein, der bis Ende 2023 als künstlerischer Leiter der Stiftung fungierte. Das vorliegende erste Album der Serie enthält die ersten beiden Violinkonzerte von Saint-Saëns, gekoppelt mit zweien seiner populärsten Einzelstücke für Violine und Orchester; Solistin ist die junge Violinistin Leia Zhu aus London, geboren 2006.
Die beiden frühen Violinkonzerte von Saint-Saëns
Saint-Saëns’ Violinkonzert Nr. 1 A-Dur op. 20, entstanden 1859, ist ein kompakter Einsätzer, ein Sonatenallegro, das (im Sinne diverser Konzertstücke und Concertini des 19. Jahrhunderts) durch einen langsameren, kantabel-empfindsamen Mittelteil unterbrochen wird, wobei Saint-Saëns im Detail darüber hinaus eigene Akzente (in der Form) setzt. Eigentlich ein dankbares, schwungvolles und einprägsames Werk, hat es doch nie auch nur annähernd die Popularität von Saint-Saëns’ Violinkonzert Nr. 3 erreicht, was fast noch stärker für das Violinkonzert Nr. 2 C-Dur op. 58 gilt, 1858 entstanden und damit chronologisch eigentlich das erste (die höhere Opuszahl erklärt sich durch eine spätere Publikation). Diesmal in den üblichen drei Sätzen gehalten, werden gerne Mendelssohns Violinkonzert (ohne dass allzu offensichtliche Parallelen vorlägen) oder auch Vieuxtemps als Vorbilder genannt, ein Blick etwa auf Saint-Saëns’ Urbs Roma-Sinfonie (man vergleiche etwa die jeweiligen langsamen Sätze!) verrät allerdings auch deutliche Kontinuitäten innerhalb des Schaffens des jungen Komponisten selbst. Koloristisch und dramaturgisch attraktiv (dabei melodisch vielleicht etwas weniger inspiriert) ist hier nicht zuletzt der elegische langsame Satz, der nahtlos in ein Finale übergeht, das gegen Ende sogar eine kleine Fuge zu bieten hat, in der die Violine nicht von ungefähr mit dem Orchester verschmilzt. Ein Repertoirestück ist das effektvolle Introduktion und Rondo capriccioso a-moll op. 28 (1863), gerne und viel gespielt auch die speziell melodisch ungemein attraktive Havanaise E-Dur op. 83 (1885–87).
Temperamentvoll-zupackender Zugang zur Musik
Leia Zhus Zugang zu diesen Werken ist grundsätzlich temperamentvoll und zupackend, geprägt von Verve und Dynamik, ihr Ton ist durchaus facettenreich, dabei eher kräftig und in den tiefen Lagen sonor. Es sind also extrovertierte und in diesem Sinne wirkungsvolle Lesarten. Technisch ist Zhu ausgesprochen versiert; dass einige Oktavparallelen etwas unsauber geraten, ist so zentral nicht. Etwas zu hastig muten allerdings die langsamen Sätze der beiden Konzerte an, speziell des A-Dur-Konzerts: hier könnte das kantable Melos der Musik mit mehr Ruhe intensiver zelebriert werden. Im Vergleich deutlich gemäßigter ist das Grundtempo der Havanaise, die (nicht unbedingt eine Frage des Tempos) ein wenig fließender gestaltet werden könnte, auch die Binnenwechsel im Tempo (qua Partitur und nach eigenem Ermessen) könnten organischer erfolgen (vgl. etwa das Più mosso nach Ziffer C). Nicht völlig überzeugend für mich auch das con morbidezza-Couplet des Rondo capriccioso, dessen Morbidität hintergründiger ausgelotet werden könnte – all dies, natürlich, Details.
Einspielungen mit Elan
Die Tontechnik räumt Zhus Violine eine relativ prominente Rolle ein, jedenfalls angesichts der Natur von Saint-Saëns’ Werken, die dem Orchester einen bedeutenden Part einräumen. So geraten einige Details in den Hintergrund, wie etwa die schwärmerische Begleitung der grazioso-Passagen im Violinkonzert Nr. 1 oder die ausdrucksvollen Holzbläserfiguren, die das Violinkonzert Nr. 2 durchziehen. Dabei begleitet das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Griffiths routiniert und kompetent, allerdings etwas pauschal. Wenn etwa gegen Ende des Violinkonzerts Nr. 1 zu den absteigenden Flageoletttönen der Violine die Holzbläser die energischen Viertel des Beginns sacht in Erinnerung rufen, dann könnte dieser Moment mehr Delikatesse, mehr Geheimnis vertragen, der Beginn der Havanaise könnte federnder, mediterraner gestaltet werden. Kraftvoll und mit einigem Schmiss geraten die effektvollen orchestralen Höhepunkte u.a. in den Ecksätzen des Violinkonzerts Nr. 2. Aufnahmen, die insbesondere durch ihren Elan, ihre Vitalität zu punkten verstehen, abgerundet durch einen schönen, informativen, ausführlichen Begleittext.
Holger Sambale [19.04.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Camille Saint-Saëns | ||
1 | Introduction et Rondo capriccioso a-Moll op. 28 | 00:09:32 |
2 | Violinkonzert Nr. 1 A-Dur op. 20 | 00:12:20 |
5 | Violinkonzert Nr. 2 C-Dur op. 58 | 00:29:10 |
8 | Havanaise E-Dur op. 83 für Violine und Orchester | 00:10:21 |
Interpreten der Einspielung
- Leia Zhu (Violine)
- ORF Vienna Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Howard Griffiths (Dirigent)