Hans Winterberg
complete piano sonatas
Jonathan Powell

eda records 054
1 CD • 16min • 2024
04.07.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Von der vorliegenden Einspielung und der bald folgenden Notenausgabe – bei Boosey & Hawkes – aller fünf Klaviersonaten des deutschsprachigen Prager Juden Hans Winterberg (1901-1991) dürfte nochmals ein entscheidender Impuls ausgehen, den Bekanntheitsgrad dieses durch widrige Umstände und völlig zu Unrecht nach seinem Tode in Vergessenheit geratenen Komponisten zu erhöhen. Winterberg überlebte das Nazi-Lager Theresienstadt und lebte ab 1947 in Bayern, wo auch etliche Werke von ihm aufgeführt wurde – jedoch anscheinend nie eine der Klaviersonaten. Auch ging kein einziges seiner Werke in Druck. Mit Jonathan Powell hat sich nun ein Virtuose allerersten Ranges nicht nur interpretatorisch mit dem Sonatenschaffen Winterbergs auseinandergesetzt, sondern als Musikwissenschaftler – Powell hat in den 1990ern eine Dissertation über Komponisten in der Skrjabin-Nachfolge verfasst – auch gleich die Werke für den Erstdruck ediert.
Fünf Klaviersonaten innerhalb von 14 Jahren
Durch seine Herkunft und musikalische Sozialisation im durch vielfältige Einflüsse geprägten Prag der 1920er und 1930er Jahre dürfte sich ergeben haben, dass Winterbergs Stil zunächst vor allem Elemente aus dem Umfeld Janáčeks, zudem – nicht nur durch seinen Dirigierlehrer Alexander von Zemlinsky – ebenso der Zweiten Wiener Schule widerspiegelt. Als Komponist war der versierte Pianist eher ein Spätzünder. Faszinieren die beiden ersten Sonaten von 1936 und 1941 noch mit fast expressionistischem, meist atonalem Drang, wird Winterbergs musikalische Sprache nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik gefestigter, gleichzeitig auch gemäßigter. Pianistisch durchaus dankbar sind freilich alle Stücke. Winterberg hat sich stilistisch nach 1950 noch interessant weiterentwickelt und bis 1985 Klaviermusik geschrieben, allerdings seinen Schwerpunkt auf andere Formen – etwa die Suite – gelegt.
Powell spielt mit äußerster Konturenschärfe und Ausdruckskraft
Der Münchner Pianistin Brigitte Helbig kommt das Verdienst zu, 2018 und 2020 auf zwei CDs erstmals einen kleinen Überblick von Winterbergs Klavierwerk – noch aus den Manuskripten – eingespielt zu haben, darunter die ersten beiden Sonaten. Pianistisch ohne Tadel und klanglich fraglos sensibel, blieb sie hierbei jedoch – verglichen mit Powell – emotional allzu brav. Die Zerrissenheit und das Ungestüm gerade dieser Stücke bringt der britische Pianist viel überzeugender herüber. Sein konturenscharfer Zugang, stärkere dynamische Kontraste und rhythmische Klarheit sowie absolut überragende technische Fähigkeiten sprechen unmittelbarer an. Die Sonaten 3-5 hat Powell uraufgeführt und sie liegen hier nun als Erstaufnahmen vor. Die dritte Sonate – 1947 geschrieben, als Winterberg seine tschechische Heimat verließ – ist „dunkel pulsierend“ und ein wunderbares Beispiel für die Vorliebe des Komponisten für ausdrucksvoll gestaltete Ostinati. Die vierte – und mit gut 22 Minuten längste – Sonate begeistert mit geradezu romantischer Virtuosität, raffinierter Rhythmik und könnte verspätet, neben den Sonaten Viktor Ullmanns, zu einem echten Vorzeigestück tschechischer Klaviermusik der Zeit werden. Dagegen ist Martinůs Gattungsbeitrag von 1957 beinahe langweilig.
Rauschhaft-kontemplative 5. Sonate
Powell – der im Booklet hervorragend die Entwicklung der tschechischen Klaviersonate skizziert – beschreibt die viersätzige fünfte Sonate von 1950 trefflich einerseits als pastoral und friedlich, dann „rauschhaft-kontemplativ“: Was zunächst widersprüchlich erscheinen mag, erweist sich jedoch erneut als großer Wurf. Winterbergs Sonaten gehören definitiv ins Repertoire: Hier spricht kein verkannter Außenseiter, sondern ein geborener Vermittler zwischen West und Ost, dabei ein höchst intelligenter musikalischer Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts. Aufmachung und Tontechnik der faszinierenden, randvollen CD verdienen ebenso höchstes Lob: Eine enorm wichtige Gesamteinspielung ist dies ohnehin.
Vergleichsaufnahmen: [Sonate Nr. 1]: Brigitte Helbig (Toccata TOCC 0609, 2020); [Sonate Nr. 2]: Brigitte Helbig (Toccata TOCC 0531, 218).
Martin Blaumeiser [04.07.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Hans Winterberg | ||
1 | Klaviersonate Nr. 1 | 00:15:56 |
4 | Klaviersonate Nr. 2 | 00:15:07 |
7 | Klaviersonate Nr. 3 | 00:11:48 |
10 | Klaviersonate Nr. 4 | 00:22:21 |
14 | Klaviersonate Nr. 5 | 00:14:11 |
Interpreten der Einspielung
- Jonathan Powell (Klavier)