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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Endlich wieder ein 1. Preis für einen Oboisten

Finale im Fach Oboe beim ARD-Musikwettbewerb

Wenn man sich wundert, dass es in den vergangenen 70 Jahren nur drei erste Preisträger im Fach Oboe gegeben hat – Heinz Holliger, Maurice Bourgue und Ramón Ortega Quero (Solooboist des BR-Sinfonieorchesters) mag es daran liegen, dass der Vergleichsmaßstab immer das Oboenkonzert von Richard Strauss war, bei dem der 81-jährige Komponist offensichtlich in Jugenderinnerungen schwelgte und – wie in seinem ersten Hornkonzert – auf die Form des von Weber und Schumann gern verwendeten Konzertstücks mit ineinanderfließenden Sätzen – quasi neoromantisch - zurückgreift.

Ein „Konzert für Elefanten“

Was macht dieses Konzert so ungemein selektiv?

1. Die technischen Schwierigkeiten erscheinen auf den ersten Blick für denjenigen, der brav Tonleitern und Arpeggien geübt hat, durchaus „machbar“. Sie sind definitiv schwer, aber man darf es nicht merken.

2. Aber wie überlebt man den geradezu grausame Beginn, der dem Solisten gute zwei Minuten ununterbrochenen Spiels abverlangt und ihm wie bei einem Hochleistungssportler die Muskulatur in den Wangen brennen lässt? Er kann zwar zwischendurch auf die mittlerweile verbrauchte CO2-haltige Luft kurz draufatmen, erhält jedoch keine Gelegenheit, diese verbrauchte Luft loszuwerden, um sie durch Sauerstoff zu ersetzen. Ein leichteres Rohrblatt mag helfen, aber wie steht es dann bei stärkerer „Gegenwehr“ des Orchesters? In Capriccio heißt es so schön: „auf die Sänger nehmt Rücksicht“.

3. Die sich in diesem Abschnitt niemals exakt wiederholenden 16-tel-Figuren, die – wenn man auswendig spielt – jenseits der atemtechnischen Probleme eine immense Gedächtnisleistung erfordern, um nicht verwechselt zu werden. Dazu muss alles absolut schwerelos klingen, um den heiteren Charakter dieser Aulodie nicht zur stören. Ebenfalls ist es höchst unangenehm, dass fast alle Figurationen im dichten Legato ausgeführt werden müssen, weshalb sich jede grifftechnische Unsauberkeit sofort rächt. Auto-Pilot wie bei Vivaldi? Kann man vergessen!

4. Die absolut unbläserischen Phrasierungsbögen im langsamen Satz, die nochmals zu der geschilderten Situation beitragen.

Fazit: Analog zum Dritten Klavierkonzert von Rachmaninoff: ein „Konzert für Elefanten“. Dabei handelt es sich um ein durchaus heiter-bukolisches Spätwerk, das Strauss, Meister des Pendelschlages als Gegenstück zu den depressiven „Metamorphosen“ 1945 zur eigenen seelischen Gesundung schrieb. Folgt man den Phrasierungen des Komponisten, der selbst einer Zeit entstammte, in denen solche Dinge als Anregung verstanden wurden, kommt man um Zirkularatmung – Luft in den Mundraum blasen, um durch die Nase entweder aus- oder einzuatmen – kaum herum. Bloß gehörte diese – anders als heutzutage – noch nicht zum bläserischen Handwerkszeug der Entstehungszeit.

Vier Finalisten im Herkules-Saal

Omer-Itzhak Posti aus Israel ist mit dem 3. Preis meiner Meinung nach definitiv unterbewertet. Ihm gelang an diesem Nachmittag die – neben Leonid Surkov – beste Interpretation des Strauss-Konzerts. Er nahm das Eingangssolo von allen Teilnehmern am ruhigsten und lyrischten. Er zeigte den Kollegen im Orchester deutlich, was er wollte und kommunizierte durch Zeigen intensiv mit Dirigent, Konzertmeister und den Bläserkollegen. Er hielt sich nicht immer an die vorgeschriebene Phrasierung, was den musikalischen Fluss eher verstärkte als bremste. Dabei demonstrierte er einen großen Klangfarbenreichtum mit immer gerundeten, perfekt einschwingenden Tönen in der Dritten Oktave. Sehr schön auch die im Tempo differenziert ausgeführte Trillerkette in der Kadenz. Vor allem aber, war er auch an den Stellen, wo er einmal nicht spielte konzentriert und präsent, was ihm das Orchester mit konzentrierterem Spiel dankte.

João Miguel Moreira da Silva aus Portugal teilt sich mit ihm den 3. Preis, obwohl sein Strauss allein wegen der relativ grell genommenen Spitzentöne sicherlich eine Kategorie schlechter einzustufen ist. Zudem war er in Spielpausen weniger in das musikalische Geschehen involviert, sondern mehr mit sich selbst beschäftigt. Womöglich erhielt er den Publikumspreis, weil er demonstrierte, welche Schwerstarbeit hinter einer Interpretation dieses Konzerts steckt. Vielleicht aber auch wegen seiner sehr sympathisch-bärigen Ausstrahlung.

Ilyes Boufadden Adloff aus Frankreich ist mit dem 2. Preis recht gut weggekommen. Da klang wohl noch sein exzellenter Mozart im Semifinale nach. Er ging den Strauss sehr rasch an, was zu ziemlich verwaschenen 16tel-Figuren führte und war im Andante derart außer Atem, dass er Töne abreißen lassen musste. Zudem war er in der Überleitungskadenz zum Vivace mit den Pizzicati der Streicher keinesfalls zusammen, was entweder an mangelnden Impulsen an die Mitspieler oder womöglich an einem unaufmerksamen Dirigenten gelegen hat.

Leonid Surkov aus Russland hätte ich den 1. Preis nach dem Semifinale mit einem eher langweilig-braven Mozart-Konzert nicht zugetraut. Das Strauss-Konzert gelang ihm allerdings superb. Ähnlich wie Kollege Posti nahm er den Anfang relativ ruhig, sodass er die Figuren genüsslich ausspielen konnte. Seine Rubati waren derart überzeugend, dass ihm Dirigent und Orchester mühelos folgen konnten. Im Andante betonte er die klassizistischen Wurzeln und verzichtete auf einen romantisierenden Klangfarbenwechsel im A‘-Teil. Dafür gelangen ihm an anderen Stellen außerordentlich tragfähige Pianissimi.

Auch der Orchesterpart ist in diesem Werk durchaus anspruchsvoll, wie man beim ersten Durchgang, bei dem auch der Dirigent Hankyeol Yoon noch nicht ganz auf der Höhe war, hören konnte. In den drei Folgeversionen demonstrierte das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks jedoch seine erwartete Extraklasse.

Was bleibt? Endlich einmal wieder ein erster Preis für einen Oboisten, der sich damit in die Elite seiner Zunft einreiht. Herzlichen Glückwunsch, Leonid Surkov!

Thomas Baack (14.09.2024)

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