Fünf Kandidaten – drei Preise
Finale im Fach Gesang beim 73. ARD-Musikwettbewerb
Fünf Kandidaten traten zum Finae im Fach Gesang an, doch nur drei von ihnen erhielten einen Preis. Zu Recht ging der erste Preis an Samueol Park aus Südkorea, der bereits im Semifinale mit einem stimmlich fein agierten „Rivolgete“ aus Così und einer wunderbar phrasierten Jeletzki-Arie (Tschaikowky, Pique Dame) begeistert hatte. In der unglücklichen Rolle des letzten der fünf Kandidaten überzeugte er weniger. Wenn man Händels „Warum denn rasen und toben die Heiden“ (Messias) mit vollem Da Capo singt, bedarf es mehr als eines einsamen Vorhalts als Auszierung. Hier bietet sich ein Arpeggio aufs hohe G mit fallender Tonleiter im vorletzten Takt doch geradezu an. Ob man Mozarts Figaro gleich in der Auftrittsarie „Se vuol ballare“ als Giftzwerg präsentiert, oder sich diese Farbe für „Aprite un po quegli occhi“ aufspart, ist Geschmackssache. Der Monolog des Ford aus Verdis Falstaff ist, wenn sich das Orchester nicht im Graben befindet, riskant. Da wären vielleicht Graf Luna oder Dapertutto die bessere Wahl gewesen. Trotzdem allerherzlichste Glückwünsche und Freude darüber, dass endlich einmal wieder ein Bariton gesiegt hat.
Zwiespältige Darbietung
Den zweiten Preis ersang sich die Finnin Aurora Marthens mit einer wie bereits im Semifinale zwiespältigen Darbietung. Der Grund hierfür mag im blendenden Material, der guten Gesangstechnik und der Alleinstellung als Dramatischer Sopran liegen. Händels „Piangero“ aus Julius Cäsar war verschleppt. Die Tempobezeichnung „Adagio“ bezeichnet hier eine „Sarabande grave“ mit sehr langsamen punktierten Vierteln. Wenn man jedoch ein derart langsames Tempo wählt, muss auf jeden Fall sichergestellt sein, dass das Ende jeder Phrase erst nach dem letzten Ton in der Pause liegt und dass man nicht schon auf diesem letzten Ton geistig abschaltet. Auch müssen die Auszierungen exakt auf die Zielnote fallen und nicht irgendwo dazwischen gequetscht werden. Wer mag, kann in die Kadenz des Allegro-Mittelteils ein hohes Dis einbauen, aber nur, wenn dieses nicht wie hier grell aus der Linie fällt. Gegen die Gräfinnen-Arie aus Mozarts Figaro war gesanglich nichts einzuwenden. Nur sah man hier eher einen noch naiven Teenager, der eine erfahrene Frau darzustellen versucht. Diese eher negativen Eindrücke wurden jedoch durch eine wirklich umwerfend gelungene „Hallenarie“ der Elisabeth (Wagner, Tannhäuser) vollkommen wettgemacht, sodass ich den Preis als Kompromiss zum höchst beschränkten Angebot unter den Arien mit Orchester für dramatische Stimmen akzeptieren kann.
Viel Licht – aber auch Schatten
Der dritte Preis ging an die Russin Mira Alkhovik, die in der „Felsenarie“ der Fiordiligi (Mozart, Così) brillierte und die ironische Aufgeplustertheit sehr schön kommunizierte. Fein, wie sie das einleitende Rezitativ mit unterschiedlichen Farben in der Stimme präentierte. Die Todesarie der Dido (Purcell) geriet ausgesprochen romantisch. Auch wenn man sich unter Barockoper etwas anderes vorstellt, sorgte der Schluss wirklich für einen Gänsehaut-Moment. Rusalkas „Lied an den Mond“ (Dvořák) entwickelte sich klanglich höchst edel strömend, zeigte jedoch auch die aktuellen Grenzen der stimmlichen Entwicklung auf. Wenn sich bei hohen Forte-Tönen das Vibrato in den Unterkiefer verlagert – Gesangspädagogen schimpfen dann über ein „Wackelkinn“ – ist Vorsicht geboten, da es sich hier um das erste Anzeichen jenes späteren Tremolos handelt, für das slavische Sängerinnen berüchtigt sind und das dann häufig zu Anspracheproblemen in der hohen Lage führt, die den Klang grell werden lassen. Das wäre bei diesem höchst attraktiven Instrument äußerst schade!
Überzeugender Mozart-Gesaang
Als ausgesprochen ärgerlich empfinde ich, dass der wundervolle hohe lyrische Tenor – die Franzosen nennen diesen Stimmtypus Haute-Contre – Aleksey Kursanow keinen Preis erhielt. Handelt es sich bei ihm doch um einen Filigrantechniker seltener Qualität. Sicher, die Stimme ist nicht sonderlich groß und wegen – noch – mangelnder Substanz in der tiefen Quinte nicht einfach einzusetzen. Schlecht für ihn auch, dass sich im Orchester-Repertoire für die Tenöre nicht ein einziger Rossini befand. So war er gezwungen sich mit selten Aufgeführten zu begnügen. Trotzdem bot er mit Belmontes „Baumeister-Arie“ überzeugenden Mozart-Gesang mit exzellenter deutscher Diktion. Nur wenige Tenöre sind wie er in der Lage am Schluss der Iopas-Arie aus Berlioz‘ Trojanern ein hohes C schallend anzusetzen und dann abschwellend mit einem Portamento auf einem Ton der Mittellage zu landen. Sowas kenne ich bisher nur von Nicolai Gedda oder Allessandro Bonci, um auf die Schellack-Heroen vor dem Ersten Weltkrieg zurückzugreifen. Juan Diego Flores dürfte es wohl auch beherrschen. Elegant auch sein Händel mit freien Verzierungen an den zeitlich richtigen Stellen.
Flammende Donna Elvira
War Lucia Tumminelli wirklich so viel schlechter als Mira Alkhovik? Ich finde: Nein! Die weiten Sprünge im „Liber Scriptus“ (Britten, War Requiem) führte sie meisterhaft in einheitlicher Klangfarbe aus. Ebenso gelang ihr eine flammende Donna Elvira (Don Giovanni). Einzig ihre Rusalka blieb blass. Lag es am ungewohnten, womöglich nur phonetisch gelernten Tschechisch oder an der Kondition. Sie wird es wissen.
Das Münchener Rundfunkorchester begleitete zuverlässig, was aber an einigen Stellen definitiv zu laut, da hätte sich Matthias Foremny vielleicht noch einmal die Empfehlungen von Richard Strauss an den jungen Knappertsbusch zu Herzen nehmen sollen.
Thomas Baack (15.09.2024)