Anzeige

Teilen auf Facebook RSS-Feed Klassik Heute
Klassik Heute - Ihr Klassik-Portal im Internet

Texte bei Klassik Heute

ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Edvard Grieg

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Der entscheidende Impuls für Edvard Grieg (1843–1907), eine typisch norwegische Kunstmusik herauszubilden, ging von dem mit 24 Jahren verstorbenen Komponisten Rikard Nordraak aus, der in dem größtenteils in der deutschen Tradition aufgewachsenen jungen Grieg das Ideal „norwegischen“ Komponierens erweckte. Während Griegs Stil großen Publikumserfolg hatte, etwa in Frankreich, wurde er von der Fachwelt nicht selten kritisiert; Angriffspunkt waren dabei weniger die reizvollen Einflüsse norwegischer Volksmusik. Claude Debussys berühmtes Wort vom „in Fruchteis gehüllten Himbeerbonbon“ etwa ist eine gleichsam genießerische Umschreibung für den oft erhobenen Vorwurf, Grieg sei über das Charakterstück nicht hinaus gekommen (an anderen Stellen von Debussys Konzertkritiken spürt man, dass er von Griegs Sinnlichkeit nicht wenig fasziniert ist; auch Maurice Ravel übrigens benannte Grieg als eine Inspirationsquelle). Tatsächlich nimmt die kleine Form, das Lied, das Klavierstück, in Griegs Schaffen großen Raum ein. Hier soll das als Charakteristikum seiner Musik geschätzt, aber auch gefragt werden: Wie baut er einen „großen“ Satz?

Werk-Auswahl

Kontrastreiche Sprache

Der dritte Satz des Klavierkonzertes a-Moll, das Grieg mit 25 Jahren komponierte, setzt sich aus zwei deutlich kontrastierenden Teilen zusammen; das Geschehen spielt sich fast in einer Art „Oben“ und „Unten“ ab, wie etwa auf einem Gemälde oder einer Theaterkulisse. Der erste Block veranstaltet einen energischen, stampfenden Tanz, der sich in einem spannungsvollen, allmählichen Anlauf zu einem fast dramatisch wirkenden Furioso steigert. Im zweiten Block dagegen scheint der Blick von der Hitze des Tanzbodens in den Himmel zu schweifen: Im Orchester tritt Beruhigung ein, eine Flöte schwebt träumerisch in der ätherischen Höhenluft flimmernder Streicher. Das ist als Wechsel der Perspektive komponiert, fast wie eine sanfte Überblendung in einem Film: hin zu einer anderen Szene. Mit dem Ende dieser traumversunkenen Episode setzt der Tanz wieder ein, wird jedoch bei seiner letzten Wiederkehr aufgelöst in einen lockeren Dreivierteltakt. Grieg beendet den Satz und damit das Konzert mit großer Geste: das zweite Thema erscheint in hymnischer Pracht, fast opernhaft. Nicht die sehr klare, eher blockhafte und damit gut nachvollziehbare Formgebung dieses Satzes, sondern die plastische atmosphärische Gestaltung der einzelnen Teile ist hier das Entscheidende.

Ein Schwerpunkt: Das Lied

Auch wenn man Klaviermusik von Grieg hört, die zu einem großen Teil aus Lyrischen Stücken (Lyriske Stykker) besteht, sollte man nicht nur auf die oft konventionell dreiteilige äußere Anlage achten, sondern auf das Detail hören. Das Stück Hjemve (Heimweh) etwa arbeitet im ersten Teil mit einem denkbar einfachen musikalischen Gedanken: einer Melodie im engen Tonraum einer kleinen Terz, deren zweiter Teil den ersten wiederholt und dabei den Klangraum zur Quart ausweitet. Viermal kehrt dieses Motiv fast identisch wieder, doch jedesmal wird es durch die Harmonik in ein neues Licht getaucht, hin- und hergewendet, gleichsam wie ein Gedanke, der einen nicht losläßt. Seine nochmalige Wiederholung wird dadurch vor bedrückender Auswegslosigkeit bewahrt, dass die linke Hand eine kanonische Imitation dazu ausführt. Anderthalb Minuten also werden auf einem kaum einen Takt langen Motiv aufgebaut, kunstvoll und so fein verändert, dass sich eine besondere, tief melancholische, aber nicht monotone Stimmung einstellt. Der zweite Teil, eine helle, glitzernde Höhenmusik, scheint durch das veränderte Register des Klaviers vollständig von diese Melancholie abgehoben, so dass die Tröstung anscheinend keinen Einfluß auf diese hat: der erste Teil erscheint wieder unverändert.

Grieg selbst wies darauf hin, dass Lieder eine große Rolle in seinem Schaffen spielen, und wie wichtig es ihm war, dem Text gerecht zu werden. Auf ein Gedicht Bjørnstjerne Bjørnsons, Fra Monte Pincio, das den Blick von einem der römischen Hügel beschreibt, reagierte er mit einem kleinen Tongemälde: Eine reizvolle Akkordverbindung im Klavier zeichnet die Brechungen der farbigen Sonnenstrahlen nach, die Stimme bringt einen weitgespannten, warmen Akkord zum Klingen. Doch dem Dichter erscheint die farbenreiche Verklärung der Natur wie ein „Antlitz im Tod“. Die hohe Singstimme wird in eine Region geführt, in der sie nur noch tonlos flüstert; der unerwartete poetische Vergleich wird in einen musikalischen Eindruck verwandelt. Wie sehr hebt sich dagegen die Lebensfreude des Volkes ab, dessen Fröhlichkeit in einem leichten Dreivierteltakt eingefangen wird! Wieder verwirklicht Grieg einen Perspektivenwechsel, der hier in der Gedichtvorlage angelegt ist, durch eine klare musikalische Dramaturgie.

Nicht nur Orchesterreißer

„Nach ihr nur stand mein Verlangen/jede sommerhelle Nacht“ lautet die erste Zeile des lyrischen Liedes Spielmann op. 25,1 nach einem Gedicht von Ibsen; die dazugehörige Melodie findet auch Eingang in die Kammermusik, in dem sie den motivischen Keim des großen Streichquartetts g-Moll op. 27 bildet. Jedoch ist das Lyrische hier ins Tragische gewendet: Wie eine Überschrift steht das Motiv, fortissimo und dissonant harmonisiert, über dem Werkganzen; auch in den anderen Sätze tritt diese Intervallkonstellation auf wie ein Motto und verschweißt dadurch die fast vierzig Minuten des ganzen Werkes zu einer Einheit.

Im ersten Satz erlebt das Motto, wie der Held eines musikalischen Romans, verschiedene Stationen; diese Vorstellung einer textlosen Handlung ist wohl geeignet, die Form zu beschreiben, die Grieg selbst als etwas Neues, nicht traditionsgebundenes empfand. Latent ist der Keim im ersten Teil der Exposition präsent; Grieg arbeitet hier mit langen harmonischen Flächen, die durch rhythmische Beschleunigung belebt werden – ein Verfahren, dessen Einfluß auf Debussys g-Moll-Quartett des öfteren bemerkt wurde. In ganz anderer Haltung ist dieses Motto in dem zart schimmernden „tranquillo“-Thema festzustellen oder in der Passage, die stark an ein Seitenthema des oben besprochenen dritten Satzes des Klavierkonzerts erinnert. Auf weitere Stationen dieses Mottos kann hier nicht eingegangen werden; erwähnt sei noch der Wechsel der Zeitebene, wo das Thema des ersten Expositionsteils wirkt wie ein aus der Ferne kommender Gesang in Zeitlupe.

Aus Griegs Schauspielmusik sind aus der Musik zu Peer Gynt von Henrik Ibsen einige Stücke, die er selbst zu zwei Suiten zusammenstellte, schon fast zu Allgemeingut geworden (Morgenstimmung aus der ersten Suite etwa). Wir belassen hier das genial effektvolle In der Halle des Bergkönigs im Dramenkontext, um zu zeigen, dass das Stück mehr ist als ein Orchesterreißer. Peer Gynt ist auf seiner Flucht nach der Entführung der Braut eines anderen Mannes im Reich der Trolle gelandet; Grieg macht daraus einen Tanz, der die Gefährlichkeit dieser Geister nicht sofort preisgibt. Er beginnt, nach einem Hornsignal, leise und täppisch in den Orchesterbässen; dabei wird immer wieder das gleiche viertaktige Motiv auf zwei Tonstufen wiederholt. Nach und nach verstärken Streichertriller das Unruhegefühl, das Tempo zieht nach und nach an, bis der Chor schließlich auf einmal ausbricht: „Slagt ham!“ (Schlachtet ihn ab!) schreien die Geister in der Schauspielfassung. Nach der von Grieg geschickt gesteigerten Wirkung der Unruhe wirkt der Ausbruch, obwohl man ihn erwartete, fast körperlich: als ob der Schleier der Harmlosigkeit weggerissen würde und die Trollenwelt plötzlich ihr wahres Gesicht zeigt.

Prof. Michael B. Weiß

Einspielungen zum Thema

22.05.2003
»zur Besprechung«

 / BIS

02.02.2007
»zur Besprechung«

 / BIS

17.07.2007
»zur Besprechung«

Butterflies and Illusions, Grieg • Lyric Pieces / BIS
Butterflies and Illusions Grieg • Lyric Pieces

10.03.2016
»zur Besprechung«

 / BIS

25.01.2017
»zur Besprechung«

Uwaga!, swan fake / Ars Produktion
Uwaga! swan fake

Klassik Heute - Ihr Klassik-Portal im Internet