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Besprechung CD

Roger Norrington

Beethoven

SWRmusic 93.087

1 CD • 62min • 2002

07.08.2003

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Was mich wirklich enttäuscht in dieser Gesamteinspielung ist das Fehlen der Schlachten-Sinfonie Wellingtons Sieg, die Beethoven immerhin gemeinsam mit der 7. und 8. Sinfonie am 27. Februar 1814 aufführte. Allein dieser Tatsache kann man entnehmen, daß dieses von den meisten Forschern hochnäsig als oberflächlich und trivial abgetane Werk doch dem Verständnis der 7. und 8. dienen kann. Sie bildet mit ihnen sogar einen ideellen Zyklus (op. 91, 92 und 93). Ginge dieses Werk hier voraus, verstünde man vielleicht auch ein bißchen die beiläufige Zurückhaltung, mit der Norrington den Kopfsatz geschwind vorüberparadieren läßt. Der berühmte „Klemperer, Klemperer“-Rhythmus wäre eine Hommage an jenen großen Dirigenten, als er noch sehr jung und agil war und nicht jener späte Titan deutscher Tonkunst...

Als regelrechtes Verbrechen an der Musik empfinde ich allerdings, daß Norrington übersehen hat, die vier Sätze der Sinfonie attacca zu musizieren. Anders macht die komponierte „Parenthese“ zu Beginn und Ende des Trauermarsches – ein Bläserakkord, den Schumann in seiner ebenfalls attacca zu musizierenden Vierten ausdrücklich in gleicher Funktion übernahm – keinen Sinn. Und auch der presto-Schluß des Scherzo läßt sich nur als Übergang in die Eröffnungsschläge des Finales sinnvoll deuten. Die langen Pausen lassen den Hörer mitten in einem Prozeß stehen, anstatt ihn an der Hand zu nehmen. Der Trauermarsch selbst wirkt merkwürdig kraftlos und ist für meinen Geschmack auch etwas übertrieben schnell.

Zur Höchstform läuft Norrington erst wieder im Finale auf, das ich noch nie so stringent entwickelt gehört habe und das in seiner immer verzweifelteren Raserei den Schluß-Eklat buchstäblich erst in höchster Not entläßt. Eine neue Referenz-Aufnahme – doch leider nur vom Finale (künstlerische Qualität: 7).

Ganz anders wieder die Achte, die hier gemeinsam mit der Vierten, Fünften und Sechsten für mich zu den wahrhaft großen Darbietungen dieses Zyklus zählt. Die von dem Beethoven-Forscher Martin Geck so logisch hergeleitete Resignation eines Komponisten, der mit seinem Latein und seinen Utopien fast am Ende ist, nicht einmal mit Humor weiterkommt und sich am Ende der Sinfonie als völlig desillusioniert, ja gar bitter-sarkastisch präsentiert, habe ich bisher in keiner anderen mir bekannten Einspielung so drastisch zum Leben erweckt gehört wie hier durch Norrington (vgl. schon 1. Satz, Tr. 5, ab ca. 4’00). Wer sich an dem vergleichsweise raschen und dynamischen Allegretto stört – das eigentliche Scherzo der Sinfonie! – und nun wieder Herrn Mälzel aus der Versenkung holen möchte, sei gewarnt: Der Metronom-Kanon ist eine Erfindung von Beethovens allzu übereifrigem und sich gern im Glanz des Titanen sonnenden Freund und Biographen Schindler...

Noch kompromißloser als 1986 lotet Norrington den äußerst schrägen Humor und die skurrilen Facetten dieses Satzes aus. Erst danach versteht man so recht, welch wahrhaftiges und liebevolles Denkmal Beethoven im nachfolgenden Menuett seinem alten Lehrmeister Haydn gesetzt hat, das doch zugleich voller Spott fürstliche Fanfaren karikiert. Das Finale gewinnt dann geradezu chaplinesque Qualitäten; es wundert mich wirklich, daß in dem live-Mitschnitt kein einziger Lacher zu hören ist... Aber soetwas verstößt ja gegen die Gepflogenheiten des klassischen Konzertlebens. Außerdem bleibt einem, wenn man sensibel hinhört, gegen Ende vor Bitterkeit doch das Lachen im Halse stecken (ab Tr. 8, 5’27): Der Schlußlärm wird hier so kongenial vulgär inszeniert, als ob Beethoven plötzlich dem Publikum buchstäblich den nackten Hintern zeigen würde (künstlerische Qualität: 10). Norringtons Publikum hat das nicht verstanden und applaudierte heftig...

Die Besprechungen des kompletten Beethoven-Zyklus:

Dr. Benjamin G. Cohrs [07.08.2003]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ludwig van Beethoven
1Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 00:37:53
5Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 00:23:35

Interpreten der Einspielung

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