Naxos 8.555933-34
1 CD • 83min • 1998
07.01.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Diese Aufnahme ist nicht nur schon 1998 entstanden, sondern damals bereits auch veröffentlicht worden, und zwar auf dem Label SonArte (SP 13, 2 CDs, Vertrieb: Klassik Center Kassel), eine Produktion, die nach wie vor im Handel erhältlich ist. Wie so etwas rechtlich überhaupt möglich ist, darüber mögen sich andere streiten; den Musikfreund interessieren dabei nur zwei Fragen: welche Edition ist billiger, und welche ist besser ausgestattet?
Erstere Frage entscheidet sich im jeweiligen Einzelhandel, letztere ist leicht zu beantworten: rein technisch sind beide Produkte völlig identisch, aber sie sind unterschiedlich betextet, wenn auch beide von dem Bruckner-Experten Benjamin Gunnar Cohrs, der auch an der Herstellung der Aufführungsversion des Finales der Neunten beteiligt war. Der SonArte-Text ist dabei erheblich länger und behandelt die Problemstellung, ein vom Komponisten nicht in kompletter Reinschrift hinterlassenes Werk aufführbar zu machen, ausführlicher hinsichtlich der .
Und diese Problemstellung sowie auch die Begründung der Vorgehensweise des Vollender-Teams ist bedeutsam für die Rezeption eines Werkes, dem bisher die fast metaphysisch verklärte Aura des Unvollendetseins und der Widmung „an den lieben Gott“ anhaftete. Tatsächlich nämlich war das Finale der Neunten von Anton Bruckner weit genug gediehen, um nach seinem Tode eine Reinschrift herstellen bzw. aus dem Zusammenhang erschließen zu können – Parallelen zu Friedrich Cerhas Vorgehensweise bei Alban Bergs „Lulu“ oder Antony Beaumonts Fertigstellung des „König Kandaules“ von Alexander Zemlinsky lassen sich ziehen.
Nur war das Notenmaterial zu Bruckners Finale nach dessen Tod durch Unachtsamkeit in alle Winde zerstreut worden, so daß in Anbetracht immer noch fehlender Bögen zur Zeit von einer gleichsam vorläufig endgültigen Version des Finales gesprochen werden muß. Aber auch in dieser Vorläufigkeit ist das Finale eine zutiefst beeindruckende, für Bruckners Stil erstaunlich kühne und neuartige Musik; es scheint, der Komponist habe im Angesicht des Todes noch eine ganz neue Richtung einschlagen wollen, habe sich „losgelassen“ wie Schubert in seinen späten sinfonischen Fragmenten oder Mahler in seiner Zehnten Sinfonie. Das Kennenlernen dieses Finalsatzes lohnt sich allemal, ja erscheint dringend notwendig, um der kompositorischen Physiognomie Bruckners jenseits von Mythen und Glaubensangelegenheiten gerecht zu werden.
Diese Fassung der Neunten wird sich vermutlich allmählich durchsetzen, und in diesem Prozeß werden auch die interpretatorischen Qualitäten wachsen. Diese nämlich snd hier noch nicht ganz befriedigend. Der Klang des Orchesters (zwei Jahre nach der Fusion aus zwei früher selbständigen Klangkörpern) ist noch nicht homogen genug, die Bläser – so wichtig bei Bruckner – etwas rauh und pauschal, und den Scherzo-Satz mit der bei Bruckner seltenen Angabe „Bewegt, lebhaft“ nimmt Wildner zu behäbig, nicht luftig genug, orientiert sich am Gedröhn des Paukenmotivs, und so entsteht kein Lipizzaner-Ballett, sondern eine Art Rodeo eines mit Brabanter Kaltblütern bespannten Bierfahrzeuges. Hingegen gelingt Wildner gerade im Finale eine farbige, dramatische und auch instrumental überzeugende Gestaltung, die manche Einbußen der ersten drei Sätze fast wieder wettmacht.
Dr. Hartmut Lück † [07.01.2004]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109 | |
2 | Sinfonie Nr. 9 - Finale Nr. 9 (Aufführungsfassung von Samale, Phillips, Cohrs, Mazzuca, 1991/rev. 1996) |
Interpreten der Einspielung
- Neue Philharmonie Westfalen (Orchester)
- Johannes Wildner (Dirigent)