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Besprechung CD

OehmsClassics OC 342

1 CD • 78min • 2000

20.08.2004

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Mit 78 Minuten Spielzeit randvoll ist diese vorzügliche Produktion, die vehement eine Lanze für das Schaffen des Wiener Komponisten Kurt Schwertsik bricht (Jg. 1935). Das ist alles andere als „Darmstädter Elfenbeinturm-Musik“ wie Roger Norrington einmal trefflich über manches als Selbstzweck geschriebene zeitgenössische Werk geäußert hat. Norrington hat übrigens die hier eingespielte, köstlich ironische Schrumpf-Symphonie 1999 uraufgeführt – im Sylvesterkonzert der Salzburger Camerata Accademica. Da paßt es bestens hin: Es ist erstaunlich, was hier – ungeachtet des Titels – in vier Sätzen und insgesamt knapp sechs Minuten alles passiert. (Meine Assoziation beim ersten Hören: Ein Komponist speist im Wiener Hotel Imperial; unter dem großen runden Tisch tummeln sich die kläffenden Kritiker, denen er ab und zu einen Brocken von seinem Vier-Gänge-Menü hinwirft, damit sie sich den Magen dran verderben...)

Die 20minütige Sinfonia-Sinfonietta (1996) ist in einem Idiom geschrieben, das in manchem an die besten Werke der Minimal Music erinnert – John Adams’ Violinkonzert zum Beispiel –, das aber auch die Tradition der Wiener Kaffeehäuser und Mahler’sche „Comedia Humana“ nicht verleugnet – eine vorzügliche, dankbare Komposition von straffer Dramaturgie. Wenn der Komponist im Booklet mit den Worten zitiert wird, er suche „Künstler, die Satie, Ives, Schwitters, Wittgenstein und Gandhi in einer Person sind“, erweist er sich als humanistischer Anarchist im besten Sinne und beschreibt auch Aspekte der hier vorgelegten Werke sehr treffend. Schwertsik’s Werke sind gleichwohl sehr eigenständig, Hervorbringungen einer faszinierenden Künstler-Persönlichkeit, die ihr Publikum zu begeistern vermag. Mein persönlicher Favorit dieser CD ist das zweite Violinkonzert (2000), nach zwei Stadtteilen in Granada Albayzin & Sacromonte genannt und von Christian Altenburger unter die Haut gehend gespielt. Man könnte es vielleicht eine Hommage an Villa-Lobos’ Bachianas Brasileiras oder de Falla’s Nächte in spanischen Gärten nennen, vielleicht aber auch nur das persönliche Fotoalbum einer Spanienreise in Klängen – ohne damit despektierlich von dem Werk zu sprechen, das sich, seiner Substanz angemessen, absolut seriös gibt und auch so verstanden werden sollte.

Diese drei Werke dirigiert Dennis Russell Davies in gewohnter Qualität. Für den halbstündigen, krönenden Abschluss griff Schwertsik selbst zum Taktstock und machte aus seinem Melodram Goldlöckchen eine zündende Ein-Mann-Show. Es handelt sich dabei um die groteske Reim-Geschichte Goldilocks von Roald Dahl, die Schwertsik ins Deutsche übersetzt hat und die sehr an die „WoWo“-Kunst des bekannten Literaturkabarettisten Friedhelm Kändler erinnert: Ein kurioser Tieranwalt kommt auf das Podium, um vor versammeltem Orchester eine Gerichtsverhandlung gegen Goldlöckchen anzustrengen, die den kleinen Bären denunziert hat, sie töten zu wollen. Daraus entwickelt sich ein Märchen von schwarzem Humor mit orchestralen Anklängen an Richard Strauß, Arthur Honegger, Gustav Mahler und anderen. Hier wäre leise Kritik anzumelden: Schwertsik gibt nicht nur den Dirigenten, sondern auch den Erzähler, obwohl sein Libretto eindeutig zwei Personen vorschreibt. Nun ist er sein eigener Librettist und kann mit dem Text machen, was er will – und das tut er auch: der gesprochene Text weicht in manchen Details von der im Beiheft gegebenen Version ab. Doch hat der Verzicht auf einen zweiten Sprecher zur Folge, dass der gesamte Text offenbar im Studio nachproduziert werden musste. Dadurch klingt die Produktion sehr zwiespältig, die Stimme nämlich hat eine ganz andere Klangatmosphäre als die unterlegte Musik und wirkt somit ausgesprochen gekünstelt. Das finde ich schade, auch wenn Schwertsik offenbar nicht nur ein guter Dirigent, sondern vor allem ein wundervoller Erzähler ist, der im Tonfall irgendwo zwischen Joseph Meinrad und Nikolaus Harnoncourt anzusiedeln ist. Umso nachhaltiger empfiehlt sich Goldlöckchen für Live-Aufführungen. Gleichwohl ist die CD ein Muss für alle Klassik-Freunde mit Humor. Mich hat sie schon nach einmaligem Hören zum überzeugten Schwertsikianer gemacht...

Dr. Benjamin G. Cohrs [20.08.2004]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Kurt Schwertsik
1Sinfonia-Sinfonietta op. 73 (Fünf Sätze für Orchester)
2Violinkonzert Nr. 2 op. 81 (Albayzin & Sacromonte)
3Schrumpf-Symphonie op. 80
4Goldlöckchen op. 74 (Libretto von Donald Sturrock, basierend auf Roald Dahls "Goldilocks", dt. Übersetzung von Kurt Schwertsik)

Interpreten der Einspielung

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