Franz Berwald Symphonies and Overtures

Hyperion CDD22043
2 CD • 2h 25min • 1995
24.08.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Gerade will ich es mir mit der Aufnahme gemütlich machen, freue mich schon an dem runden, satten Ton des Orchesters und der quirligen Behendigkeit der Estrella de Soria-Ouvertüre, greife zum Booklet – und erstarre! Denn das, was da wie eine Übersetzung ins Deutsche aussieht, erweist sich nach wenigen Zeilen als eine Phantasiesprache, derentwegen man nicht einmal zur Recht-Schreibung zurückkehren müßte: „Eingangs rufen die Trompeten und Hörner Aufmerksamkeit erregend eine magische Phrase emporsteigender Dritteltakte der Cellos hervor, die sanft chromatisch abfällt,” heißt es besonders ermutigend zum Anfang der vierten Sinfonie, wobei die ominösen Dritteltakte sich bei näherer Inspektion des englischen Textes nicht einmal als Dreiertakte, sondern als eine Folge aufsteigender Terzen erweisen. Besser hätte das der Koch der Muppet-Show auch nicht sagen können... Ich möchte betonen, daß es hier nicht um gelegentliche Verständnisfehler oder kleine sprachliche Unebenheiten geht – jeder, der in der Branche arbeitet, hat die Trophäen der selbstgeschossenen Böcke an den Wänden seines Arbeitszimmers hängen; nein, diese „oversittings“ (Übersetzungen) zeichnen sich schlicht durch eine völlige Unkenntnis der Terminologie und die daraus resultierenden Verirrungen aus. Wenn beispielsweise festgestellt wird, daß Duncan Druce den Kopfsatz der ansonsten verschollenen A-Dur-Sinfonie dadurch aufführbar gemacht hat, daß er „sechundsechzig Taktstriche” hinzufügte, dann frage ich mich, warum nicht mir diese Arbeit übertragen wurde – ein Lineal habe ich auch.
Doch genug davon. Hören wir lieber, was Roy Goodman, der einstige „Hanover Bandiger”, aus dem Heimvorteil macht, den das Symphonieorchester des Schwedischen Rundfunks in Sachen Berwald mitbringt, und stellen wir fest, daß die gesamte Produktion in zwei deutlich voneinander geschiedene Hälften zerfällt. Dort, wo die spielerische Virtuosität, die vor-mendelssohnschen Mückenschwärme sommernächtlicher Elfentänze gefragt sind, mag man sich angesichts der allgemein vergnüglichen Umtriebe recht amüsiert und beschwingt fühlen: Die Scherzi (in der Symphonie capricieuse beinahe schon von Brucknerscher Impulsivität) und die scherzando-Einschlüsse der langsamen Sätze gelingen insgesamt durchaus erfreulich, indessen Goodman das Orchester immer dort an der Oberfläche musizieren läßt, wo der so außerordentlich originelle, bewundernswerte Berwald in dieselben Tiefen des Ausdrucks und der Innenspannung vordringt wie sein Beinahe-Altersgenosse Franz Schubert, dessen sinfonisches Œuvre ihm natürlich völlig unbekannt war. Vor allem aber wollen sich weder die musikalischen „Sibelius-Visionen” einstellen, in denen der modrige Boden unendlicher Birkenwälder förmlich glühen müßte, noch die knappen, typischen Blechbläsereinwürfe jene Zündfunken versprühen, die Berwalds Sinfonik ihre charakteristischen Impulse verleihen. Insgesamt bleibt es also bei einer seltsam unbefriedigenden, allenfalls klanglich mehr als durchschnittlichen Präsentation, die die Sehnsucht nach den mehr als 25 Jahre alten EMI-Aufnahmen mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Ulf Björlin weckt. Wohl dem, der die noch hat!
Rasmus van Rijn [24.08.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Berwald | ||
1 | Estrella de Soria | |
2 | Sinfonie Nr. 3 C-Dur (Sinfonie singulière) | |
3 | Drottningen av Golconda (1864) | |
4 | Sinfonie Nr. 2 D-Dur (Sinfonie capricieuse) | |
5 | Sinfonie A-Dur (Fragment, 1820 ergänzt von Duncan Druce) | |
6 | Sinfonie Nr. 1 g-Moll (Sinfonie sérieuse) | |
7 | Sinfonie Nr. 4 Es-Dur (Sinfonie naïve) |
Interpreten der Einspielung
- Swedish Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Roy Goodman (Dirigent)