Hungaroton HCD 32211
1 CD • 67min • 2004
16.02.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Es gibt Komponisten, die durch ihre Arbeit die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse hinterfragen und deren innere Widersprüche offen legen. Zu ihnen gehören Ludwig van Beethoven, Dmitri Schostakowitsch oder Luigi Nono. Das gesellschaftspolitische Umfeld aus der künstlerischen Arbeit gänzlich auszuklammern und eine Musik zu schaffen, die sich ganz selbst genügt – L'art pour l'art – ist der Weg in die andere Richtung.
Die beiden auf dieser CD präsentierten russischen Komponisten Alexandr Tichonowitsch Gretschaninow (1864-1956) und Reinhold Moritzewitsch Glière (Taufnahme: Reinhold Ernst Glier, 1875-1956) negieren in ihrem Schaffen nicht nur die gigantischen Umbrüche die während ihres Lebens stattfanden, ihre Musik klingt zudem erstaunlich ähnlich – und das bei recht gegensätzlichen und durch große politische Umbrüche bestimmte Biographien. Denn während Glière im sowjetischen Russland hohe offizielle Ehren zuteil wurden (er war unter Stalin seit 1932 Präsident des Verbandes Sowjetischer Komponisten), musste Gretschaninow die Sowjetunion 1925 verlassen. Er ging zunächst nach Paris, wo auch die Sonate op. 113 entstand, und nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die USA. Seine Musik ist ganz in der Romantik verwurzelt, sie wirkt getragen und etwas schwülstig, dann wieder pathetisch und stürmisch. In dieser Haltung ist sie der Musik der Belle Époque, also jener von Massenet, Fauré oder Franck, nicht unähnlich. Verstärkt wird dieser hinsichtlich der Entstehungszeit der Sonate anachronistisch wirkende Charakter durch die ausladende und mit viel Rubato aufgeladene Interpretation durch den aus Bagdad stammenden Cellisten Kousay H. Mahdi Kadduri und seinen umsichtig aus dem Hintergrund agierenden ungarischen Begleiter am Klavier, Péter Nagy. Kadduris breiter, sonorer Ton prägt auch das sehr getragene Nocturne op. 86 sowie das idyllisch einfache Lullaby op. 108.
Ebenfalls idyllisch, aber leicht kitschig, gibt sich der die CD eröffnende und beschließende Walzer op. 45 von Glière, der in kultivierter Verstaubtheit die Salonmusik des 19. Jahrhunderts beschwört. Von Glière sind mit den 1910 entstandenen Albumblättern op. 51 weitere Salonmusiken zu hören, deren zwölf alle rund drei Minuten lange Stücke recht gut als gehobene Caféhausmusik, etwa für Venedig, taugen würden. Im Grunde genommen klingen alle Stücke so, als wären sie freie Inspirationen über Saint-Saëns berühmte Kantilene Der Schwan. Gliers Musik ist von einer seltenen Harmlosigkeit, was ob der politischen Vorgänge im Russland des 20. Jahrhunderts doch recht bizarr erscheint.
Der Klang dieser mehr historisch als musikalisch interessanten CD ist etwas breit, aber recht gut ausbalanciert.
Robert Spoula [16.02.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Reinhold Glière | ||
1 | Album Blätter op. 51 für Violoncello und Klavier (Band 1 und 2) | |
2 | Album Blätter op. 51 für Violoncello und Klavier (Band 1 und 2) | |
3 | Walzer op. 45 für Violoncello und Klavier | |
Alexander Gretschaninow | ||
4 | Wiegenlied op. 108 für Violoncello und Klavier | |
5 | Sonate 3-Moll op. 113 für Violoncello und Klavier | |
6 | Nocturne op. 86 |
Interpreten der Einspielung
- Kousay H. Mahdi Kadduri (Violoncello)
- Péter Nagy (Klavier)