BIS 1167
1 CD • 60min • 2004
14.02.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nachdem Karl Weigl mit seiner Familie von Wien in die USA gegangen war, weil er sich begreiflicherweise nicht wollte „anschließen“ lassen, hätte er wahrlich Grund genug gehabt, sich in musikalischem Selbstmitleid zerfließen zu lassen. Daß er es nicht getan hat, macht diese seine letzte Sinfonie aus dem Jahre 1947 auf Anhieb ebenso sympathisch wie die Apokalyptische (Nr. 5), die er zwei Jahre zuvor vollendete (BIS-CD 1077). Schon dieses mächtige Stück hätte zu einem Reigen aus Vorwürfen und jener Art von Tränenseligkeit werden können, die unter den feuchten Wimpern hindurchschielt, um zu sehen, ob man die gewünschte Wirkung denn auch erreicht hat. Statt dessen präsentierte sich Weigls Apokalypse mit ihrem originellen Anfang – ein Blechbläserchor ruft die stimmenden Instrumente des Orchesters zur Ordnung – als ein in kräftiges Holz geschnittener Bilderbogen, zu dem die Sechste nun gewissermaßen den zweiten, noch „apokalyptischeren“ Abzug (nicht: Aufguß) darstellt. War in der fünften Sinfonie beispielsweise das Scherzo, der Tanz ums Goldene Kalb, eher ein munteres Haschen nach dem Kuckuck, der sich bei Mahler zu Tode gefallen hatte, so bricht nun der zweite Satz des jüngeren Werkes mit fürwahr endzeitlicher Gewalt herein; und die abschließenden Vier Reiter der Fünften traben trotz ihrer markanten Diktion doch ein wenig gemächlich neben dem gespenstischen Finale der Nachfolgerin her. Tatsächlich kommt es mir vor, als habe Weigl sich dasselbe Sujet noch einmal vorgenommen und dabei die Konturen schärfer, die Schlagschatten schwärzer und das gesamte Resultat demzufolge „größer“ gestaltet – was freilich erst zu bemerken ist, wenn man die beiden Sinfonien nebeneinander hält.
Das sinfonische Bild Alt-Wien (1939), das hier mit sechsten Symphonie gekoppelt ist, bestätigt nur, daß es Karl Weigl offensichtlich nicht darum zu tun war, sein Schicksal zur Schau zu stellen. Wie schön hätte er nicht um die verlorene Schätze der Alten Welt klagen, wie beifalls- und mitleidsträchtig nicht seufzen und schmachten können! Doch er hat die Schätze mitgebracht und läßt sie schöpferisch weiterleben: die schöne blaue Donau etwa, die sinfonischen Klänge Anton Bruckners, die Atmosphäre des Fin de siècle – all das verflicht er zu einem ebenso charmanten wie zwingenden Gebilde, das, und da widerspreche ich dem Textautor entschieden, nicht Eskapismus, sondern vielmehr den Blick in eine Zukunft bedeutet, in der solches Komponieren wieder möglich sein wird.
Rasmus van Rijn [14.02.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Karl Ignaz Weigl | ||
1 | Sinfonie Nr. 6 | |
2 | Old Vienna |
Interpreten der Einspielung
- Rundfunk Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Thomas Sanderling (Dirigent)
- Alun Francis (Dirigent)