Hans Sommer
Orchestral Songs
Pentatone classics PTC 5187 023
1 CD • 70min • 2021
08.12.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der zu Lebzeiten erfolgreiche, danach aber bald vergessene Komponist Hans Sommer (1837-1922) erlebt seit einigen Jahren – zumindest auf Tonträgern – eine beachtliche Renaissance. Seine Klavierlieder (an die dreihundert hat er geschrieben) wurden von Stella Doufexis (Sony), Elisabeth Kulman und Bo Skovhus (Tudor) und Constance Heller (Solo Musica) aufgenommen, zuletzt startete Naxos eine dreiteilige Edition mit dem Bariton Jochen Kupfer. Das vorliegende Recital von Pentatone widmet sich nun erstmalig den Orchesterliedern Sommers, der Mathematik-Professor und später Leiter des Braunschweiger Polytechnikums war, bevor er sich mit 47 Jahren ganz dem Komponieren zuwandte. Das Programm umfasst Arbeiten aus sechs Jahrzehnten und enthält mit einer einzigen Ausnahme ausschließlich Ersteinspielungen. Bei einigen Liedern ist noch nicht einmal klar, ob sie jemals öffentlich vorgetragen wurden.
Ein Kampf um Goethe
Das gilt beispielsweise für Nachts in der Kajüte nach Heinrich Heine, eine frühe Komposition (um 1860 entstanden) und eine Pioniertat auf dem damals noch nicht etablierten Gebiet des Orchesterlieds. Erst ein Vierteljahrhundert später kam Sommer, wohl unter dem Einfluss seines zeitweiligen Lehrers Franz Liszt, wieder auf diese Gattung zurück, begann dann auch nach dessen Vorbild, eigene Klavierlieder zu orchestrieren. Nach einer längeren Phase, in der er sich mit wechselhaftem Glück der Oper zugewandt hatte, widmete er sich im Alter wieder verstärkt diesem Genre, wobei sein besonderes Interesse den Dichtungen Johann Wolfgang Goethes galt, deren schlichte Poesie er mit dem spätromantisch aufrauschenden Orchester regelrecht erdrückte, so in Der König von Thule und in Mignons Heimath („Kennst du das Land“). Erst recht befremdlich ist der Kontrast in der sinnspruchhaften Beherzigung („Sehe jeder, wo er bleibe“). Noch kurz vor seinem Tode nahm der 85-jährige sich Goethes Erinnerung vor („Willst du immer weiter schweifen?“), konnte aber nur die Klavierfassung vollenden. Sie erklingt hier in einer Orchestrierung von Olga Kroupova.
Wahlverwandtschaft mit Julius Wolff
Auf die Rastlose Liebe nach Goethe (1920) folgt im Programm Im Sturme (1883, orch. 1900) nach Julius Wolff (1834-1910). Beide Gedichte behandeln das Thema der Liebesstürme, Wolff mit erheblich größerem sprachlichen Aufwand. Und Sommer, der Metaphern gerne wörtlich nimmt und es dort, wo von Sturm die Rede ist, im Orchester donnern und krachen lässt, findet bei diesem fast gleichaltrigen „Butzenscheibendichter“ (Paul Heyse) einen künstlerischen Wahlverwandten. Das zeigt sich auch in den vier Liedern aus dem Zyklus Hunold Singuf, die ursprünglich für Klavier gesetzt waren und später für Kammerensemble (Streichquartett und Klarinette) erweitert wurden. Wolff bezog sich da auf den „Meister Singauf“, einen Sangspruchdichter des 13. Jahrhunderts, dessen leichtfüßigen Ton auch Sommer aufnimmt, wobei die Violinen die Laute des Spielmanns reizvoll imitieren.
Von Richard Strauss bewundert
Zu den großen Bewunderern (später auch Freunden) Sommers gehörte der 37 Jahre jüngere Richard Strauss, der über dessen erste mehraktige Oper Lorelei 1889 an seinen Vater schrieb, sie gehöre „trotz des nicht mehr zeitgemäßen Textes musikalisch zu dem Besten u. Interessantesten, was heute in Deutschland geschrieben wird“. Fünf in die durchkomponierte Oper eingebettete Lieder, gesungen von der Protagonistin Lore, hat Sommer später als Liedzyklus im Eigenverlag veröffentlicht und dann auch instrumentiert. Sie wecken die Neugier auf die komplette Oper.
Die Präsentation der Orchesterlieder, eine editorische Tat, lassen keine Wünsche offen. Vier vielseitig profilierte, stimmlich frische und gestalterisch involvierte Sänger (Mojca Erdmann, Anke Vondung, Mauro Peter und Benjamin Appl) und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) unter dem dynamisch agierenden Dirigenten Guillermo García Calvo tun alles, um den handwerklich versierten, stilistisch konservativen Komponisten in seiner Eigenart zu erfassen und nicht als marginalen Kleinmeister ins Archiv zu verbannen. Das Booklet enthält die Liedtexte auf deutsch und englisch sowie eine ausführliche Einführung in Leben und Werk Sommers durch seinen Urenkel Hans-Christoph Mauruschat.
Ekkehard Pluta [08.12.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Hans Sommer | ||
1 | Freisinn | 00:02:01 |
2 | Der König von Thule | 00:04:16 |
3 | Mignons Heimath | 00:04:25 |
4 | Beherzigung I | 00:01:29 |
5 | Beherzigung II | 00:01:50 |
6 | Rastlose Liebe | 00:03:16 |
7 | Im Sturme op. 4 Nr. 3 | 00:06:22 |
8 | Sir Aethelbert op. 11 Nr. 3 | 00:08:10 |
9 | Lore im Nachen op. 13 Nr. 1 (Lieder aus der Oper Lorelei) | 00:02:28 |
10 | Röslein und Schmetterling op. 13 Nr. 2 (Lieder aus der Oper Lorelei) | 00:02:20 |
11 | Lore und der Junker op. 13 Nr. 3 (Lieder aus der Oper Lorelei) | 00:00:59 |
12 | Im Walde op. 13 Nr. 4 (Lieder aus der Oper Lorelei) | 00:02:12 |
13 | Auf dem Felsen op. 13 Nr. 5 (Lieder aus der Oper Lorelei) | 00:03:02 |
14 | Nachts in der Kajüte | 00:04:18 |
15 | Wandrers Nachtlied I | 00:02:45 |
16 | Wandrers Nachtlied II | 00:02:33 |
17 | Erinnerung | 00:01:52 |
18 | Im Dorfe blüht die Linde op. 2 Nr. 2 | 00:02:58 |
19 | Zum Gruß op. 4 Nr. 1 (aus: Hunold Singuf op. 4, Rattenfängerlieder) | 00:01:35 |
20 | Sommerspiel op. 4 Nr. 2 (aus: Hunold Singuf op. 4, Rattenfängerlieder) | 00:03:06 |
21 | Lockung op. 4 Nr. 3 (aus: Hunold Singuf op. 4, Rattenfängerlieder) | 00:04:32 |
22 | Istud Vinum op. 4 Nr. 4 (aus: Hunold Singuf op. 4, Rattenfängerlieder) | 00:03:33 |
Interpreten der Einspielung
- Mojca Erdmann (Sopran)
- Anke Vondung (Mezzosopran)
- Mauro Peter (Tenor)
- Benjamin Appl (Bariton)
- Rundfunk Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Guillermo Garcia Calvo (Dirigent)