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Besprechung CD

Franz Lehár

Symphonic Works • Piano Sonatas • 39 Lieder

cpo 555 702-2

6 CD • 6h 23min • 1996-2002

02.12.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Systematisch hat das Label cpo in den letzten Jahren das Operettenschaffen Franz Lehárs aufgearbeitet und dabei neben den Erfolgsstücken auch viele Titel berücksichtigt, die schon in Vergessenheit geraten waren. Jetzt legt sie mit einer Kassette nach, die vor allem die erstaunlichen Anfänge des späteren Großmeisters der leichten Muse in den Focus rückt. Die Aufnahmen sind bereits vor einem Vierteljahrhundert entstanden, haben also nachgerade historischen Rang, und sie bieten dem interessierten Hörer und Lehár-Kenner Überraschungen noch und noch.

Hochbegabter Teenager

„Häng die Geige an den Nagel und komponier‘ lieber“, soll Antonin Dvořák gesagt haben, als ihm der 17jährige Student Franz Lehár seine Klavier-Sonate d-moll vorspielte. Johannes Brahms kam später zu einem ähnlich positiven Befund. Die Sache hatte nur einen Haken: dem Violinschüler, seit seinem 12. Lebensjahr mit einem Stipendium am Prager Konservatorium eingeschrieben, war dort das Komponieren ausdrücklich verboten, und so musste er heimlich Privatstunden bei Zdenĕk Fibich nehmen. Interessant, dass diese ersten Kompositionen dem Klavier galten und nicht seinem eigentlichen Instrument, der Geige. „Sie war mir ob der stundenlangen Fingerübungen geradezu verhasst“, bekannte er später. Die d-moll-Sonate ist ein originelles, gar nicht anfängerhaft klingendes Werk, das in seiner viersätzigen Anlage zwar klassisch-romantischen Mustern folgt, aber auch deutlich dramatische Züge aufweist und vor allem ein brillantes Scherzo enthält, das Lehár später separat als Scherzo B-Dur op. 28 veröffentlichte. Die Sonate ist im vorliegenden Album auf der vierten CD gemeinsam mit der konventionelleren, kurz zuvor geschriebenen Klaviersonate F-Dur und der Fantasie As-Dur vom Folgejahr in einer animierenden Wiedergabe durch Wolf Harden zu hören.

Die Prager Lehrjahre des Teenagers Lehár haben seine Anfänge als Komponist maßgeblich geprägt. Zum Abschluss seines offiziellen Studiums spielte er 1888 das zweite Violinkonzert von Max Bruch, das in seinem eigenen Concertino für Violine und Orchester aus demselben Jahr einen Widerhall fand, ohne epigonal zu sein. In der 1907 entstandenen Konzert-Ouvertüre Eine Vision. Meine Jugendzeit vernimmt man Reminiszenzen an Smetanas Die Moldau.

Hoffnung auf Opernerfolg

Seinen großen Durchbruch als Komponist seriöser Musik, der es ihm ermöglichen sollte, die als Fron empfundenen Dienste als Militärkapellmeister aufgeben zu können, erhoffte er sich von der in Russland spielenden Oper Kukuschka, die 1896 in Leipzig einen Achtungserfolg errang, aber sich dort eben so wenig im Repertoire halten konnte wie kurz darauf bei Aufführungen in Budapest. Nach dem Erfolg der Lustigen Witwe unternahm Lehár an der Wiener Volksoper einen weiteren Versuch, die Oper zu etablieren, nun in einer durch Max Kalbeck dramaturgisch überarbeiteten Fassung unter dem Titel Tatjana. Doch auch hier blieb eine Langzeitwirkung aus, so dass der Pragmatiker Lehár den lebenslangen Konflikt zwischen Berufung und Beruf zugunsten des letzteren, finanziellen Erfolg versprechenden aufgab, keine Opern mehr schrieb und sich ganz der Operette zuwandte. Das dem Verismo nahestehende Werk zeigt stilistische Einflüsse von Mascagnis Cavalleria rusticana (insbesondere vom daraus stammenden Intermezzo sinfonico), bezieht seine eigene Qualität aber aus dem Einsatz von russischem Klangkolorit. Interessanterweise wurde dieses von den italienischen Komponisten der Veristen-Generation erst Jahre später entdeckt, von Umberto Giordano in Siberia, von Franco Alfano in Risurrezione. Vier Orchesterstücke aus Lehárs Oper, von der Radio Philharmonie des NDR Hannover unter Klauspeter Seibel klangsensibel gespielt, machen Appetit auf mehr. Deshalb hat cpo wenige Jahre später eine Gesamtaufnahme aus Berlin nachfolgen lassen.

Die zweite und die dritte CD, bestritten vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Michail Jurowski, zeigt uns Lehár in der ersten Blüte seiner Erfolge im leichteren Genre – Ouvertüren, Walzer und Ballettmusiken. Unter denen ist die kurz nach der Lustigen Witwe entstandene Tanzsuite aus dem Kinderstück Peter und Paul im Schlaraffenland besonders reizvoll, in gewisser Weise auch ein Reflex auf Tschaikowsky Nussknacker-Suite.

Ernste Kriegsgesänge

Der Erste Weltkrieg, der bei manchen Kollegen patriotisches Feuer entfachte, löste bei Lehár tiefe Nachdenklichkeit aus. In einem 1915 veröffentlichten Band Aus eiserner Zeit fasste er eine Reihe von Kompositionen zusammen, die das Kriegsgeschehen aus der Perspektive der Opfer betrachteten. Private Erlebnisse (sein Bruder Anton wurde schwerverletzt in ein Feldlazarett eingeliefert und überlebte wie durch ein Wunder) flossen ein in die symphonische Dichtung Fieber für großes Orchester und Singstimme, bei der es sich eigentlich um ein Monodram handelt voller halluzinatorischer Bilder vom Schlachtfeld, die dem Sänger eine große Ausdruckspalette abfordern. Robert Gambill, damals in einer Übergangsphase vom Belcanto- zum Heldentenor, meistert diese Aufgabe bravourös. Vier Lieder mit Klavierbegleitung, die ebenfalls in die Sammlung Aus eiserner Zeit gehören, sind weitere Zeugnisse des ernsten Lehár, der sich hier von seiner erfolgreichen Unterhaltungsmusik abkehrt. Das Reiterlied 1914 und das Trutzlied konterkarieren den heldischen Ton, Nur einer und Ich hab‘ ein Hüglein im Polenland beschreiben das Leid der Kriegerwitwen.

Liedervielfalt

Ansonsten war das Liedschaffen Lehárs, das etwa 100 Titel umfasst, sehr unterschiedlich in Stil und Genre. Als junger Militärkapellmeister in der slowakischen Provinzstadt Losoncz vertonte er 1891/92 Gedichte seiner Freundinnen, der Baronesse Vilma Fries (Aus längst vergang‘ner Zeit) und der Comtesse Rosa Cebrian (Ruhe), auf seiner nächsten Station im istrischen Pola (Pula) entstand der ambitionierte Zyklus der Karstlieder, der von seinem Bruder Anton sogar mit Hugo Wolfs Mörike-Liedern verglichen wurde. In den 20er und 30er Jahren huldigte er dann ganz der leichten Muse, schrieb Gebrauchsmusik für Tonfilm und Kabarett und bei Gelegenheit für Gesangsstars wie Marta Eggerth (Schau mich an, sei mir gut), Fritzi Massary (Ich hol dir vom Himmel das Blau) und natürlich Richard Tauber (Wenn eine schöne Frau befiehlt). Manche dieser Lieder wurden für verschiedene Zwecke umgearbeitet und oft auch als Einlagen für Operetten-Revivals verwendet. Die auf 2 CDs verteilten und von sechs Sängern bestrittenen 39 Lieder finden in der Koloratursopranistin Heidi Wolf, den lyrischen Sopranen Gabriele Rossmanith und Brigitte Lindner, der Mezzosopranistin Iris Vermillion und den beiden Tenören Jürgen Sacher und Christian Elsner eloquente und stimmlich ansprechende Interpreten und werden von Cord Garben locker und stilsicher begleitet.

Der Repertoirewert dieser Edition wird durch die sehr ausführlichen Werkeinführungen von Eckart van den Hoogen und dem Lehár-Experten Stefan Frey im zweisprachigen Booklet noch erhöht.

Ekkehard Pluta [02.12.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Franz Lehár
1Tatjana (Vorspiele zu Akt 1, 2 und 3, Russischer Tanz) 00:17:47
5Fieber für Tenor und Orchester (Tondichtung) 00:12:48
6Il Guado für Klavier und Orchester (Sinfonische Dichtung) 00:08:08
7Concertino für Violine und Orchester 00:16:59
8Eine Vision. Meine Jugendzeit (Konzertouvertüre) 00:09:00
9Donaulegenden (An der grauen Donau, Walzer) 00:04:34
CD/SACD 2
1Zigeunerfest (Ballettszene) 00:05:48
2Marsch und Palótas 00:07:49
3Preludium religioso (aus: Rodrigo) 00:04:57
4Ein Märchen aus 1001 Nacht (Scène phantastique) 00:05:52
5Peter und Paul im Schlaraffenland (Ballettmusik) 00:16:06
15Fata morgana (Konzert-Gavotte) 00:05:33
16Korallenlippen (Polka mazurka) 00:03:19
17Resignation (aus: Das Fürstenkind, Operette in einem Vorspiel und zwei Akten) 00:04:11
18Suite de danse (Ballettmusik) 00:06:40
19Chinesische Ballett-Suite 00:07:10
CD/SACD 3
1Die lustige Witwe (Ouvertüre) 00:09:33
2Altwiener Liebeswalzer 00:08:32
3Der Göttergatte (Ouvertüre) 00:07:30
4Wilde Rosen (Valse Boston, 1921) 00:04:24
5Cloclo (Operette in drei Akten) 00:06:20
6Grützner-Walzer 00:07:10
7Adria-Walzer 00:07:08
CD/SACD 4
1Klaviersonate F-Dur 00:22:06
5Klaviersonate d-Moll 00:39:24
9Klavierfantasie As-Dur 00:12:16
CD/SACD 5
1Aus längst vergang'ner Zeit 00:05:17
2Schicksalsahnung (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:12
3Erfüllung (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:12
4Was streift mein Blick ... (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:33
5Ich drücke deine liebe Hand ... (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:26
6Es duften die Blüten ... (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:49
7Mein Traumschloß - Versunken (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:32
8Verzaubert ... (aus: Sieben Karst-Lieder) 00:01:24
9Reiterlied 1914 (aus: Aus eiserner Zeit) 00:02:07
10Nur einer (aus: Aus eiserner Zeit) 00:02:30
11Erste Liebe 00:03:35
12Der Thräne Silberthau! op. 63 00:03:51
13Sehnsucht, heimliches Verlangen 00:02:57
14Die du mein alles bist 00:01:49
15Das lockende Lied 00:04:25
16Schau mich an, sei mir gut ... 00:03:19
17Schillernder Falter 00:02:32
18Ich liebe dich! 00:03:21
19Frauenherz - du bist ein kleiner Schmetterling 00:03:14
20Wenn eine schöne Frau befiehlt 00:02:36
21Liebesglück 00:03:06
22Geträumt 00:03:13
23Die ganze Welt dreht sich um die Liebe 00:02:48
CD/SACD 6
1Dir sing ich mein Lied 00:03:50
2Die Näherin 00:04:02
3Ruhe 00:02:11
4Ging da nicht eben das Glück? 00:05:28
5Ich hol' dir vom Himmel das Blau 00:04:17
6Im Boudoir 00:05:29
7Nimm mich mit, o Herbst 00:03:49
8Trutzlied 00:02:31
9Ich war sein Mädel (aus: Cycle "Die Liebe zog vorüber") 00:02:49
10Das erste Mal (nach einem französischen Original - aus: Die Liebe zog vorüber (Cycle)) 00:03:21
11Am Bache im Gras (aus: Cycle "Die Liebe zog vorüber") 00:04:27
12Ich hab' ein Hüglein im Polenland 00:02:26
13Vorüber 00:03:19
14Sári 00:03:44
15G Nachtlichter-Marsch (Fragment) 00:01:15
16Komm, die Nacht gehört der Sünde 00:05:07

Interpreten der Einspielung

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