Hungaroton HCD 32271
1 CD • 59min • 2003
13.03.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ich muß gestehen, diese „späte“ Soloveröffentlichung des ungarischen Pianisten Tamás Vásáry mit ungemütlichen Erwartungen ausgepackt zu haben. Nach seinen gewandten, besonders im Leggiero-Glitzer liebenswerten Chopin-Aufnahmen und einigen sehr zuchtvollen Liszt-Einspielungen für die Deutsche Grammophon der 60er Jahre boten die vier Klavierkonzerte von Rachmaninoff mit den Berliner Philharmonikern (ebenfalls DG) ein Hörblild der musikantischen Auszehrung. Noch Besorgnis erregender war viele Jahre später eine Video-Aufzeichnung des Forellenquintetts, in dessen Verlauf Vásáry nurmehr Andeutungen einer Klavierkunst zeigte, die in seinen besten Jahren das Publikum im Saal aus den Sitzen riß. Ich erinnere mich, ihn im Frankfurter Saal der Kunstgemeinde mit einem markanten, ausgreifenden Programm erlebt zu haben – und dann kamen die Zugaben: Beethovens F-Dur-Sonate op. 10,2, Schuberts A-Dur-Sonate D 664, Chopins b-Moll-Sonate op. 35 und – wenn ich mich richtig erinnere – noch ein kapitales Stück, das in seinen Eruptionen sehr nach de Fallas Fantasia baetica schmeckte.
Umso mehr darf ich im Fall dieser neuen Hungaroton-Edition entwarnen. Vásáry ist den Aufgaben von einst auch im Jahr 2003 durchaus gewachsen. Und er spielt im vorgerückten Alter – nämlich als klavieraktiver Dirigent! – mit entschieden mehr Wucht und Vorwärtsdrang. So erlebt man die vier Chopin-Balladen als geraffte Espressivo-Studien, oft etwas hektisch vorangetrieben, aber doch mit genügend Umsicht in Zaum gehalten, so daß die wichtigsten Parameter gesichert wirken. Die knappen Durchgangszeiten für diese vier Stücke spiegeln die Unrast des Interpreten – und auch für die Liszt-Sonate ist Ungeduld angezeigt. Nur 27 Minuten und 22 Sekunden benötigt der aus Debrecen stammende, heute 73-jährige Pianist für ein Werk, dessen Wiedergabedauer einst Sviatoslav Richter für mindestens 30 Minuten anberaumt hatte (sonst könne man dem Gehalt nicht gerecht werden…). So ist es nicht verwunderlich, wenn bei Vásáry die Rezitativ-Passagen gelegentlich ins Explosive tendieren, wenn manche der komplizierten und riskanten Akkordsprungsequenzen ins Trudeln und ins Verwischte geraten, aber im Großen und Ganzen profitiert diese Wiedergabe vom Willen eines Interpreten, der sich mutig noch einmal in das Abenteuer einer akustischen Gipfelbesteigung begibt. Er besiegt das Werk, indem er von ihm mit- und hinaufgerissen wird. Und der Hörer verspürt die dünne Luft auf diesem riskanten Wege der Alterswildheit.
Peter Cossé † [13.03.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23 – Largo - Moderato | |
2 | Ballade No. 2 F major op. 38 | |
3 | Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47 | |
4 | Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 Nr. 4 | |
Franz Liszt | ||
5 | Klaviersonate h-Moll S 178 |
Interpreten der Einspielung
- Tamás Vásáry (Klavier)