Harmonies/Orgel Modern
NCA 60160
1 CD/SACD • 61min • 2003
06.02.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Wiener Organist, Dirigent und Komponist Martin Haselböck hat in den letzten Jahren seine bislang ohnehin eindrucksvolle Publikationstätigkeit scheinbar noch einmal intensiviert. Zusätzlich zur letzten großen Initiative, der sehr gelungenen Einspielung des Orgel-Gesamtwerks Franz Liszts auf historischen Instrumenten, erschien nun als Ergänzung ein verdienstvolles Album, das einen für Haselböck nicht zu unterschätzenden Teil seines organistischen Wirkens beleuchtet: sein Engagement für die Moderne. Zusammengefaßt unter dem Titel „Harmonies“ wird ein perspektivisch weit gefaßter Überblick über das Komponieren für Orgel der Nachkriegszeit, genauer gesagt der Jahre 1967 bis 1987, gegeben.
Mit jedem der hier vertretenen sechs Komponisten hat Haselböck persönlich intensiv zusammengearbeitet, wenn die betreffenden Werke nicht ohnehin ihm auf den Leib geschrieben worden sind. Haselböck selbst berichtet, daß etwa György Ligeti anläßlich einer Aufführung seines Gesamtwerkes für Orgel bzw. Cembalo durch Haselböck „noch während der Generalprobe“ mit der „exakten Abstufung der Winde“ experimentierte – wohlgemerkt nicht etwa vornehm im Parkett sitzend, sondern höchstselbst in der Orgel liegend.
Die enge Zusammenarbeit mit den Komponisten hat Haselböck zu Einsichten gebracht, die sicherlich über eine schwer greifbare „Authentizität“ der Interpretation weit hinausgehen; vielmehr dürfte er sich die Sorgfalt, mit der die Komponisten ihre Wirkungen berechneten oder austüftelten, zu eigen gemacht haben, was jeder seiner Deutungen anzuhören ist. So gewinnt zum Beispiel Ernst Kreneks Suite Die vier Winde immens durch die effektvolle Lokalisierung der großen Schuke-Konzertsaalorgel der Warschauer Philharmonie im Raum sowie die gelungene Registrierung, welche die vier Stücke in ein faszinierendes Spiel zwischen Vordergrund, Geräuschhaftigkeit und einer seltsamen Ferne verwickelt. Die bei Krenek momentweise etwas steif und unbeholfen anmutende Rhythmik tritt so zugunsten der räumlichen Wirkung in den Hintergrund. Bei Ligetis Zwei Etüden aus den Jahren 1967/69 mit ihrer stellenweise geradezu unwirklichen, unirdischen Klanglichkeit spielen solche letzte Reste der Tradition ohnehin keine Rolle mehr. Diese Werke sind nicht nur die bedeutendsten Stücken dieses Programmes; gerade für die zweite Etüde mit ihrem quasi-elektronischen Irisieren läßt sich auch nur schwer eine angemessenere Deutung vorstellen – Haselböck scheint vom in der Orgel liegenden Ligeti viel gelernt zu haben …
Die Werke Halffters, Schnittkes, Durkós und Bischofs sind nicht zuletzt deshalb eng mit Haselböck verbunden, weil sie für dessen Wiener Festival „Orgelkunst“ in Auftrag gegeben und auch von ihm selbst uraufgeführt wurden. Generell findet sich in ihnen, wie schon in den Stücken der älteren Meister Krenek und Ligeti, eine Tendenz zur Statik, die jedoch bei Halffter nach anfänglichem Pointillismus mit katastrophischen Cluster- und Lärmentladungen, bei Schnittke mit tonalen, bisweilen ins Tragische gewendeten Linienführungen aufgebrochen werden. Hier, wie auch in Zsolt Durkós Andromeda, fesselt am stärksten, wie die vorherrschende Statik innerlich bewegt und differenziert wird, wobei nicht verschwiegen werden soll, daß diese eher zugänglicheren Stücke neben dem von Ligeti einen deutlich blasseren, weil weniger entschiedenen Eindruck hinterlassen. Das interessanteste Stück unter diesen neueren Versuchen für Orgel ist sicherlich die aus einem größer angelegten Konzert für Orgel und Orchester herausgelöste Cadenza Rainer Bischofs, ein so sinnlicher wie packender Abschluß dieser so hochinteressanten und programmatisch wertvollen Anthologie.
Prof. Michael B. Weiß [06.02.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ernst Krenek | ||
1 | Die vier Winde op. 223 (Suite) | |
György Ligeti | ||
2 | Etüde Nr. 1 (Harmonies) | |
3 | Etüde Nr. 2 (Coulée) | |
Cristóbal Halffter | ||
4 | Ricercare para Organo | |
Alfred Schnittke | ||
5 | Zwei kleine Stücke für Orgel (1980) | |
Zsolt Durkó | ||
6 | Andromeda (1980) | |
Rainer Bischof | ||
7 | Cadenza op. 19 Nr. 2 |
Interpreten der Einspielung
- Martin Haselböck (Orgel)