Love Letters
Thorofon CTH2538
1 CD • 81min • 2006
27.02.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ein schöner Gedanke leitet diese Einspielung: Eine „Liebesvesper“ wollen die Musiker mit ihrer Zusammenstellung von Musik der Monteverdi-Zeit feiern – fünf vertonte Liebesbriefe anstelle der Psalmen, fünf Toccaten anstelle der Antiphonen und so weiter, alles gut durchdacht und liebevoll ins Werk gesetzt. Man könnte fürchten, der Gedanke sei etwas blasphemisch…, doch auch vor 450 Jahren war man nicht ängstlich in Italien; denken wir nur an Rom und den Kirchenstaat, wo alles Opernwesen von der Obrigkeit mit dem Bann belegt war, und wo die Musiker und ihre hochgeistlichen Mäzene flugs die Andacht zum Ort der musikalischen Schilderung all der Gemütsbewegungen machten, die im übrigen, säkularen Italien auf der Opernbühne ihren künstlerischen Ort gefunden hatten.
Die Idee, sich des Ablaufes eines Gottesdienstes zur musikalischen Abbildung der Liebe zu bedienen, hat also nicht nur eine thematische Stringenz dank der existenziellen Nähe von Liebeserfahrung und religiösem Erleben, sie verbindet auch die wahren Bestrebungen der musikalischen Avantgarde des Frühbarocks, die von Italien aus das europäische Musikleben revolutionierte, wo äußere Umstände die musikalischen Erneuerungen auf verschiedene Genres verteilte. Im übrigen darf hier nicht in Vergessenheit geraten, dass auch Monteverdi in der eindringlichen Schilderung menschlicher Affekte keinen Unterschied zwischen Oper, Madrigal oder geistlichen Kompositionen machte und somit die Musiker dieser CD in ihren Bestrebungen autorisiert.
In einem weiteren Sinne erweist sich die Ausrichtung am Ablauf eines katholischen Gottesdienstes als fruchtbar: Ein thematischer Zentralgedanke gewinnt durch die Varietät seiner Gestaltung nicht nur an allgemeiner Überzeugungskraft, sondern wird auch in eine gnädige überweltliche Distanz entrückt, die dem in die Profanität seines alltäglichen Lebens eingebundenen Menschen den Kontakt mit der überweltlichen Sphäre einerseits überhaupt erträglich und andererseits auch zum Fokus seines existenziellen Hoffens macht. Sündigen die Katholiken deswegen fröhlicher als Protestanten? Wieder ein blasphemischer Gedanke, für den der Rezensent sich nicht entschuldigen muss, da Heinrich Schütz durch sein kongeniale Adaptation der italienischen Musik sich souverän über alle kleinlichen dogmatischen Erwägungen hinwegsetzte und der Evangelischen Kirche mitten in den Turbulenzen des 30-jährigen Krieges eine geistliche Musik bescherte, die höchstes künstlerisches Format mit dem fundamentalen lutherischen Anliegen des emotional-affektiven Gottesbezugs eines jeden einzelnen Christen verband.
In diesem Sinn wird diese CD zu einem Lehrstück über die Wurzeln der geistlichen Musik in der weltlichen: So wie Luther „dem Volk aufs Maul schauen“ wollte, um die Kluft zwischen entrückter Geistlichkeit und dem gläubigen Volk zu überwinden, schaut sie der intellektuellen Elite der Zeit aufs Hirn und überwindet so (wie die Musiker dieser Zeit) kleinliche ideologische Befürchtungen ideologischer Hardliner vor dem Eindringen des subjektivistischen Virus in das Feld der „ewigen und unveränderlichen Wahrheiten“.
Die wendige und stets angenehm timbrierte Stimme des Tenors Giovanni Cantarini ist von der Seite der Interpreten Höhepunkt dieser Aufnahme, doch auch die instrumentalen Teile dieser CD zeigen interpretatorisch hohes Niveau. Die Aufnahmetechnik schwankt zwischen räumlich weitem und engem Klangbild und lässt trotz nur eines angegebenen Aufnahmetermins auf unterschiedliche Aufnahmeleiter schließen. Besonders beim Hören mit Kopfhörern mindert diese unterschiedliche Nähe des Hörerlebnisses zum Ohr das direkte Hörvergnügen. Trotzdem: Ein kammermusikalisches Juwel des Frühbarock!
Detmar Huchting [27.02.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Girolamo Frescobaldi | ||
1 | Oscure selve | |
Giovanni Girolamo Kapsberger | ||
2 | Toccata V | |
Claudio Monteverdi | ||
3 | Se i languidi miei sguardi (aus: Settimo Libro de' Madrigali) | |
Jacopo Peri | ||
4 | Hor che gli augelli | |
Bartolomeo Barbarino | ||
5 | Audi dulcis amica mea | |
Bellerofonte Castaldi | ||
6 | Amorevole corrente | |
Sigismondo d' India | ||
7 | Torna, dunque, deh torna | |
Claudio Monteverdi | ||
8 | Fenice son io | |
9 | Ego flos campi | |
Alessandro Piccinini | ||
10 | Toccata XIII (aus: Intavolatura di Liuto et di Chitarrone, Libro Primo) | |
Girolamo Frescobaldi | ||
11 | Vanne, o carta amorosa | |
Stefano Landi | ||
12 | Augellin | |
Claudio Monteverdi | ||
13 | Nigra sum | |
Giovanni Girolamo Kapsberger | ||
14 | Preludio | |
Claudio Monteverdi | ||
15 | Se pur destina | |
Sigismondo d' India | ||
16 | Torna il sereno zefiro, e gli augellini garruli (Quinto libro di musiche da cantar solo, 1623) | |
Bartolomeo Barbarino | ||
17 | Osculetur me | |
Giovanni Girolamo Kapsberger | ||
18 | Toccata I | |
Giacomo Carissimi | ||
19 | Scrivete occhi dolenti | |
Giovanni Girolamo Kapsberger | ||
20 | Augellin | |
21 | Nigra sum | |
Anon. | ||
22 | Ave maris stella | |
Tarquinio Merula | ||
23 | Quando gli uccelli porteranno zoccoli |
Interpreten der Einspielung
- Giovanni Cantarini (Tenor)
- Il vero modo (Ensemble)