Ondine ODE 1094-5
1 CD/SACD stereo/surround • 79min • 2006
14.02.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der hier vorgelegte live-Mitschnitt aus der Verizon Hall in Philadelphia vom 11. Mai 2006 hält ein besonderes Ereignis fest: die Einweihung der brandneuen, riesigen Fred J. Cooper Memorial Orgel. Das Instrument der Firma Dobson, Lake City/Iowa, verfügt über 110 Register und knapp 7.000 Pfeifen. Auf dem Programm standen einige Paradepferde des Repertoires: Die eröffnende Toccata Festiva op. 36 komponierte Samuel Barber 1960 für die Orgelweihe im damaligen Sitz des Philadelphia Orchestra, der Academy of Music. Die Programmierung erfolgte sicher auch im Hinblick auf den 25. Todestag Barbers.
Das Konzert für Orgel, Pauken und Streicher von Francis Poulenc aus dem Jahr 1936 fordert die Balancier-Kunst des Dirigenten wie auch die Virtuosität des Organisten. Nicht fehlen durfte die sogenannte Orgel-Sinfonie von Camille Saint-Saëns, wohl eine Konzession an das amerikanische Publikum, auch wenn so manche Sinfonie für Orgel und Orchester (z.B. von Widor, Vierne oder Guilmant) vielleicht reizvoller gewesen wäre, um die Fähigkeiten des Instruments hervorzuheben. Denn ausgerechnet in jenem beliebten Standard-Werk, das in der Partitur bescheidener “avec Orgue” (mit Orgel) bezeichnet ist, hat die Orgel eigentlich kaum zu tun…
Der Klang der Produktion ist vor allem im SACD-Surround-Modus phänomenal und frappierend räumlich; auf der Audio-CD stört vor allem der geringer wirkende Abstand der Orgel von den Streichern. Außerdem wäre ein Warnhinweis auf der Hülle durchaus angebracht gewesen: Der riesige Frequenz-Umfang der Orgel im dröhnenden Tutti (insbesondere bei Poulenc) ist fast geeignet, die Baßlautsprecher der Heimanlage zu knacken.
Solist Olivier Latry, derzeitiger Organist von Notre-Dame in Paris, kennt sein Repertoire und bleibt diesen Werken nichts schuldig. Ärgerlich finde ich vor allem Eschenbachs Dirigat in Poulencs Concert: Die Metronomangaben der Partitur ignoriert er weitgehend, die langsameren Teile musiziert er ausgesprochen larmoyant aus, Nuancen übertreibt er stets gewaltig. Man höre nur den Beginn des viel zu langsamen Andante moderato (Tr. 4) oder den Schmalz, den er in einem harmlosen dreitaktigen Übergang wie bei Ziffer 33 (“en cédant beaucoup”, Tr. 5, ca. 2’08) entwickelt. Das Tempo sollte sich eigentlich nur sukzessive von Vierteln = 88 zu Vierteln = 66 verringern; Eschenbach schlägt dagegen plötzlich ein langsameres Tempo an (ca. Viertel = 52), und das “Très calme” (Tr. 6) ist allenfalls Viertel = 44 statt 66. Die strenge, an den Orgelfantasien Buxtehudes orientierte Architektur des Konzerts bleibt auf der Strecke. Von ähnlichen agogischen Extremen ist auch die Wiedergabe der Sinfonie geprägt, selbst wenn die Kontrastwirkung durch die von den Orchestermusikern penibel ausgelotete Dynamik und insgesamt gute Durchhörbarkeit der Klanggruppen diese Schwäche weitgehend kompensiert. Glücklicherweise hat das Blech in dem Werk nicht so viele Möglichkeiten, brutal herauszuplatzen (abgesehen vom Finale). Alles in allem sin des spektakulär klingende Darstellungen mit süffig vibrierendem Streicherklang, eher amerikanisch-bombastisch als französisch-raffiniert (wenn ich diese Gemeinplätzeanführen darf). Von der Opulenz des hier angerichteten Gala-Dinners ist man jedenfalls allzu schnell satt.
Dr. Benjamin G. Cohrs [14.02.2007]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Samuel Barber | ||
1 | Toccata festiva op. 36 für Orgel und Orchester | |
Francis Poulenc | ||
2 | Konzert g-Moll FP 93 für Orgel, Streichorchester und Pauken | |
Camille Saint-Saëns | ||
3 | Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 (Orgelsinfonie) |
Interpreten der Einspielung
- Olivier Latry (Orgel)
- Philadelphia Orchestra (Orchester)
- Christoph Eschenbach (Dirigent)